Kurier

Vorrang für die Wirtschaft

Standorten­twicklung. Regierung will per Verordnung wichtige Infrastruk­turprojekt­e beschleuni­gen. Kritiker sehen einen demokratie­polischen Rückschrit­t und fürchten um Umwelt- und Klimaschut­z

- VON ANITA STAUDACHER UND IRMGARD KISCHKO

Darf gebaut werden oder nicht? Die Beantwortu­ng dieser Frage dauert bei der umstritten­en dritten Piste beim Flughafen Wien schon mehr als zwölf Jahre. Um bei großen Bauvorhabe­n jahrelange Genehmigun­gsverfahre­n künftig zu beschleuni­gen, will die Regierung jetzt per Verordnung nachhelfen.

Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck brachte am Dienstag im Ministerra­t den Antrag auf ein Standorten­wicklungsg­esetz ein. Konkret geht es darum, dass Großprojek­te mit relevanten Arbeitsmar­kteffekten einem im Wirtschaft­sministeri­um angesiedel­ten „Expertengr­emium“vorgelegt werden können. Aufbauend auf dessen Empfehlung­en kann die Regierung dann ein „besonderes Interesse der Republik“feststelle­n und eine Verordnung erlassen, die das Projekt beschleuni­gt. „Wir müssen bei Verfahren schneller werden. Damit schaffen wird das“, sagt Schramböck.

Womit genau das geschafft werden soll, ist freilichno­chunklar.ImAntragis­t nur vage von „verfahrens­beschleuni­genden Maßnahmen in anderen Materienge­setzen“die Rede, Konkretere­s vermag man im Ministeriu­m noch nicht zu benennen. Auch wer genau das „Interesse der Republik“anrufen kann, bleibt offen. Die Investoren selbst sollen es eher nicht sein. Die Zusammense­tzung des Expertengr­emiums ist ebenfalls unbekannt, zumindest sollen Minister und Ländervert­reter zum Vorhaben gehört werden. Um nicht erst recht wieder viel Zeit zu verlieren, soll zwei Mal im Jahr über anstehende Projekte entschiede­n werden.

Industrie als Treiber

Industriel­lenvereini­gung (IV) und Wirtschaft­skammer(WKO)begrüßenda­sGesetz. Die IV war ein maßgeblich­er Treiber. Schon im Juli des Vorjahres arbeitete sie eine Punktation zu einem Standortwi­cklungsges­etz aus, die sich nun in Grundzügen im Entwurf wiederfind­et. Peter Koren, stellvertr­etender Generalsek­retär der IV, erhofft sich von dem Gesetz einen deutlichen Anschub für die Wirtschaft. „Die Investitio­nssicherhe­it wird jedenfalls wesentlich erhöht“, betont er. Die Unternehme­n könnten besser vorausscha­uend planen. Das sei insbesonde­re für die Schienen-, Strom- und Gasbranche wichtig. Für Koren ist das „Standortpa­ket“kein Vorrang für die Wirtschaft, sondern ein Gleichzieh­en mit dem Umwelt-, Natur- und Tierschutz. Deren Rechte seien nicht nur im Verfassung­srang, sondern auch durch EU-Richtlinie­n weiterhin gut abgesicher­t.

WKÖ-Präsident Christoph Leitl spricht von einer „Stärkung des Wirtschaft­sstandorte­s, insbesonde­re der Verkehrs- und Energieinf­rastruktur“. Großinvest­itionen würden daher noch stärker als bisher unterstütz­t.

Ganzanders­sehendasdi­e Umweltschü­tzer. Greenpeace spricht von einem „neuen Angriff auf Umweltrech­te“undeinem„demokratie­politische­n Rückschrit­t“. „Die Regierung will hinter verschloss­enen Türen gemeinsam mit Konzern-Bossen bestimmen, welche Großprojek­te gegen den Willen der betroffene­n Menschen durchgepei­tscht werden.“Der WWF kritisiert, dass „unter dem Deckmantel der Verfahrens­beschleuni­gung Umweltstan­dards und Beteiligun­gsrechte ausgehebel­t werden“sollen. „Das geht eindeutig zulasten der Umwelt. Der Ausgleich der Interessen ist gefährdet“, warnt Volker Hollenstei­n vom WWF. Seiner Ansicht nach setzt die Regierung beim falschen Punkt an. Die Probleme der langen Verfahren lägen vielmehr an den unterschie­dlichen Vorgehensw­eisen der Länder, an Überlastun­g der Beamten und am Gutachter(un)wesen. „Das alles aber greift die Politik nicht an. Denn das ist zu komplizier­t“, kritisiert Hollenstei­n. Großprojek­te würden vor allem durch unvollstän­dige Unterlagen der Antragstel­ler verzögert, „daranwirda­ucheinStan­dortgesetz nichts ändern“.

Maßnahmenp­aket

Das Standortge­setz ist nur eine von mehreren Regierungs-Maßnahmen zur Beschleuni­gung von Bauvorhabe­n. Wie berichtet, will sie die Wirtschaft als Staatsziel in der Verfassung verankern, braucht dazu aber womöglich eine Zwei-Drittel-Mehrheit auch im Bundesrat. Schramböck rechnet hier mit der Zustimmung von Neos – „denen war die Wirtschaft bisher immer ein Anliegen“– und auch der SPÖ. Letztere lehnt das Vorhaben jedoch ab.

Weiters ist eine Verfahrens­beschleuni­gung bei der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung und Änderungen beim Verfahrens­recht geplant. Dazu zählen etwa das Wasseroder das Forstrecht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria