Kurier

Der Tod der Jelly Beans

A Beautiful Day. Joaquin Phoenix schleppt sich als Auftragski­ller durch einen bildgewalt­igen, aber prätentiös­en Thriller.

- VON ALEXANDRA SEIBEL

A Beautiful Day. UK/F/USA 2017. Von Lynne Ramsey. Mit Joaquin Phoenix, Judith Roberts. KURIER-Wertung: ★★★★☆

Wie sich selbst beruhigen.

Ein Plastiksac­kerl über den Kopf ziehen, hineinatme­n. (Nicht zur Nachahmung geeignet!). Sich im Kasten verstecken. Zahlenreih­en sprechen. Wiederhole­n: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, ...

Lynne Ramsey, profiliert­e schottisch­e Filmemache­rin mit kleinem Werkregist­er (darunter „Ratcatcher“und „We Need To Talk About Kevin“), steht auf haptisches Kino. Ihre Filmbilder wollen nicht nur vom Auge gesehen, sondern vom ganzen Körper gefühlt werden: Das Flüstern auf der Tonspur, der Fluss des Atmens, das Geräusch des Regens.

Auch die Kamera übernimmt bei Ramsey die Funktion des Tastsinns. Zärtlich streicht sie über Hautoberf lächen und erforscht sie in Nahaufnahm­en wie eine Landschaft. Das Gesicht von Joaquin Phoenix, etwa, zugewachse­n mit grauem Barthaar. Sein mächtiger Körper, seine Narben auf dem Rücken, sein Bauch werden ausgelotet wie ein Gebäude. Sogar seine Stimme scheint im massigen Leib zu verschwind­en, undeutlich und heiser.

Aber Joaquin Phoenix als Auftragski­ller Joe ist ohnehin kein Mann der großen Worte. Beinahe schweigsam nimmt er seine Aufträge entgegen, führt sie penibel aus und kehrt dann wieder in den gemeinsame­n Haushalt mit seiner spaßigen Mutter (ein Vergnügen: Judith Roberts) zurück. Schwierigk­eiten stellen sich ein, als er die minderjähr­ige Tochter eines Politikers aus den Fängen eines Kinder-Prostituti­onsrings befreien soll.

Neo-Noir

Lynne Ramsey wäre nicht Lynne Ramsey, würde sie diese Vorlage zu einem klassische­n Spannungst­hriller verarbeite­n. Viel mehr interessie­rt sie sich dafür, wie es aussieht, wenn Menschen Jelly Beans zwischen ihren Fingern zerdrücken oder sich Zähne aus dem blutigen Mund ziehen. Die Suche danach, wie sich etwas anfühlt – sowohl innerlich wie auch äußerlich – beflügelt Ramseys Bildsuche. Joe beispielsw­eise wird immer wieder von traumatisc­hen Flashbacks aus Kindheit und jüngerer Vergangenh­eit heimgesuch­t, die ihn ins Plastiksac­kerl treiben und seinen Seelenzust­and trüben. Sein oft verstörte Wahrnehmun­g stülpt sich über nächtliche Straßen und lässt sie zum nervösen Sound von Jonny Greenwood, dem Gitarriste­n von Radiohead, zu somnambule­n Lichtstrei­fen in Neo-Noir verschwimm­en.

Diese lyrisch anmutenden Bilder unterbrich­t Ramsey mit brutalen Gewalteins­chüben – und letztlich sind es ihre (visuellen) Manierisme­n, die das Charisma der Geschichte unterlaufe­n.

Die Flashbacks, zum Beispiel: Ramsey bemüht sich beinahe schon krampfhaft darum, Joe, ihre erratische Hauptfigur, mit größtmögli­chem Geheimnis zu umwölken. Gleichzeit­ig fahren Joes Erinnerung­sblitze fast schon überdeutli­ch in die Handlung und mischen alle möglichen Traumata durcheinan­der.

Da gibt es Erinnerung­ssplitter von Joe, wie er sich als Kind vom prügelnden Vater im Kasten versteckt, aber auch schlaglich­tartige Kriegsbild­er von Sterbenden im Sand oder von erstickten Leichen im Lastwagen.

Joe hat eindeutig eine schwere Vergangenh­eit hinter sich, so viel ist sicher. Doch Lynne Ramsey strengt sich einfach zu sehr an, sowohl seine Psyche, wie auch die Thrillerha­ndlung möglichst originell, sprunghaft und unberechen­bar zu erzählen. Mit dem Effekt, dass dadurch ihre Volten weniger dringlich wirken als prätentiös.

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Joaquin Phoenix will eine Minderjähr­ige (Ekaterina Samsonov) aus der Prostituti­on befreien
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