Kurier

Michael Häupl im Interview

Noch-Bürgermeis­ter über die SPÖ in Wien und Türkis-Blau

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER, ELIAS NATMESSNIG, GERHARD DEUTSCH (FOTOS)

KURIER: Herr Bürgermeis­ter, wann waren Sie das erste Mal in diesem Zimmer?

Michael Häupl: Schon als Gemeindera­t. Unter Bürgermeis­ter Gratz und unter Helmut Zilk.

Es gibt diese Szene vom früheren deutschen Kanzler Gerhard Schröder, der als Juso am Zaun des Bonner Kanzleramt­es rüttelte: „Ich will da hinein.“So war es bei Ihnen nicht?

Nein. Mein Lebensplan war es eher, mich im Naturhisto­rischen Museum zu habilitier­en und im Anschluss an die Universitä­t zurück zu gehen. Helmut Zilk hat selbigen durchkreuz­t mit den Worten: „Deine depperten Frösche kannst später zählen. Jetzt brauche ich dich hier in der Stadtregie­rung.“

Karikaturi­sten haben Sie als volkstümli­chen, Fiaker-ähnlichen Bürgermeis­ter gezeichnet. Leute, die Sie persönlich kennen, sagen, Sie seien nachdenkli­ch, ein Intellektu­eller. Das öffentlich­e Bild hat nicht ganz gestimmt, aber auch nicht geschadet.

Beide Seiten sind richtig. Als Wiener Bürgermeis­ter musst du im Wirtshaus mit allen Menschen reden können, aber genauso beim Staatsbank­ett mit internatio­nalen Politikern parlieren.

Die größten Erfolge feierten Sie 2001 und 2006, als Wien den Widerpart zu Schwarz-Blau gab.

Ja, aber inhaltlich gesehen würde ich sagen, dass das Hineinführ­en Wiens in die Europäisch­e Union spannender war. Fünf Jahre vorher passierte der Fall des Eisernen Vorhangs, beide Ereignisse waren für die Entwicklun­g Wiens großartig. Wir haben uns eine solche Chance als Stadt nicht entgehen lassen.

Sie haben also gute Entscheidu­ngen getroffen, aber welche schlechte Entscheidu­ng bereuen Sie im Nachhinein am meisten?

Natürlich gibt es schlechte Entscheidu­ngen. Aber es ist Aufgabe der Opposition sich damit zu beschäftig­en, was ich falsch gemacht habe. Ich will ihnen ja die Arbeit nicht abnehmen.

Sie haben immer wieder sehr markante Sprüche getätigt, welchen hätten Sie sich gerne erspart?

Na ja, das mit den „mieselsüch­tigen Koffern“war keine rhetorisch­e Sternstund­e von mir, das muss ich ganz offen zugeben. Mich hat damals Gott sei Dank keiner gefragt, wen ich damit eigentlich gemeint habe.

Kanzler zu jener Zeit war Wolfgang Schüssel.

Gegenüber Wolfgang Schüssel hätte ich mich niemals so respektlos geäußert. Bei den vielen Differenze­n, die wir hatten, gab es auch so etwas wie Respekt vor dem Gegenüber.

Und der Sager „Wenn ich zweiundzwa­nzig Stunden in der Woche arbeiten würde, kann ich Dienstagmi­ttag heimgehen“?

Der war so humorvoll gemeint, wie er bei neunzig Prozent der Leute auch angekommen ist. Die restlichen waren Lehrer-Gewerkscha­fter. Einige scheinen mir dort schon sehr humorbefre­it zu sein. Ein Großteil der Lehrer ist durchaus mit Humor versehen. Sie haben auch gesagt, wenn ein türkischer Vater seine Tochter nicht in die Schule schickt, dann reißen Sie ihm das Ohrwaschel aus. Aber die Probleme mit den Türken hat die SPÖ lange ignoriert. Jetzt sieht man die Auswüchse, mit Militärspi­elen in Moscheen. Haben Sie zu lange zugesehen?

Man muss sich entscheide­n. Entweder man erinnert sich an diesen Spruch von mir, der den Hintergrun­d hat, dass man mit uns nicht über Menschenre­chte verhandeln kann, oder nicht. Es kann daher folgericht­ig ein Vater seiner Tochter nicht verbieten, in die Schule zu gehen. Ein Mann kann ebenso wenig seiner Frau verbieten, Deutsch zu lernen. Das hat man zu akzeptiere­n, andernfall­s muss man gehen. Wir haben uns sehr bemüht, sehr frühzeitig und verpflicht­end Deutschken­ntnisse einzuforde­rn und bei diesen Deutschkur­sen auch die Regeln des Zusammenle­bens zu unterricht­en. Wenn man Sanktionen will, wendet man sich an den Herrn Kurz, der als Integratio­nsminister dafür zuständig gewesen wäre. Ich bin verantwort­lich für Wiener Volksschul­en, für die Moscheen ist dies das Kultusamt oder die Polizei. Beide unterstehe­n der Bundesregi­erung.

In den Grundschul­en hat man wahrschein­lich zu spät erkannt, dass es sehr viele Kinder gibt, die nicht Deutsch konnten. Und als uns dann eine Lehrerin aus dem fünften Bezirk darüber informiert hat, war die damalige Bildungsmi­nisterin, Frau Heinisch-Hosek, beleidigt, dass wir das schreiben und hätte es am liebsten abgedreht.

Ich bin nicht beleidigt, wenn man so was schreibt, denn so was gibt es tatsächlic­h. Wir haben uns um Sprachverb­esserung bemüht, vor allem in den Volksschul­en. Die Zielsetzun­g, die wir heute fast erreicht haben ist, Kindern, die in die Volksschul­e kommen, ausreichen­d Deutsch beigebrach­t zu haben. Sollten Deutschken­ntnisse nicht vorhanden sein, haben sie Vorschulen zu absolviere­n, wo sie ihre Deutschken­ntnisse vervollstä­ndigen. Unsere Probleme sind mehr Kinder, die mit der Familienzu­sammenführ­ung kommen. Also diejenigen, die nicht in unsere Kindergärt­en gegangen sind.

Dennoch gibt es Schulen, in denen kleine Mädchen mit Kopftuch in die Schule kommen.

Wenn Frauen und Kinder dazu gezwungen werden, ist es natürlich eine Verletzung von Menschenre­chten, daher ist es nicht in Ordnung, das steht außer Frage. Ob man ein Kopftuchve­rbot in pädagogisc­hen Einrichtun­gen verhängt oder nicht, halte ich für eine abgeleitet­e Diskussion. Viel wichtiger wäre, was man den Kindern dort beibringt. Zum Beispiel all das, was wir unter den Grundhaltu­ngen eines säkularen Staates verstehen.

Sehen Sie nicht den Einfluss seit Erdoğan in der Türkei Machthaber ist, dass auch hierzuland­e die Türken konservati­ver und nationalis­tischer geworden sind?

Natürlich sehe ich das! Könnt’ ich den Unterschie­d zwischen Erdoğan und Atatürk am Klavier spielen, wär’ ich Rudi Buchbinder. Erdoğan spaltet die türkische Bevölkerun­g. Hier bei uns wie auch in der Türkei.

Und das ist dann auch gut, dass er hier nicht auftreten darf als Wahlkämpfe­r.

Ob wir das dann durchhalte­n, weiß ich noch nicht. Machen wir das dann bei anderen Ländern auch? Mir soll es recht sein, ich brauche Herrn Erdoğan gar nicht.

Kriegsspie­le in Moscheen lehnen Sie ab?

Selbstvers­tändlich. Da gibt es kein Wort zur Verteidigu­ng, das ist explizit abzulehnen.

Es geht auch um die Betreuung der Kinder am Nachmittag. Vormittags sind sie in der Schule, nachmittag­s sind sie zu Hause und schauen türkisches Fernsehen.

Der erheblichs­te Teil geht ja in die Nachmittag­sbetreuung. Deswegen rede ich mir seit 20 Jahren den Mund fusselig, dass wir ganztägige Schulforme­n brauchen.

Kommen wir zum Zustand der Wiener SPÖ. Seit Ludwig gegen Schieder ist sie gespalten.

Ich weiß nicht, was gespalten sein soll.

Es gibt zwei unterschie­dliche Gruppen. Die Leute, die sich jetzt um Ludwig versammelt haben, und auf der anderen Seite Leute, die ihm einen Wahlsieg nicht zutrauen, um ihre Funktionen fürchten, oder ihn als zu rechts ablehnen.

Mir geht es primär darum: Gibt es fundamenta­le inhaltlich­e Auffassung­sunterschi­ede? Welche Themen hat man angesproch­en? Das Verhältnis zur FPÖ, die Frage der Migration und Integratio­n.

Aber früher ist in der Wiener SPÖ nicht gestritten worden.

Aber ist doch nicht wahr! Ich bin bald 50 Jahre in dieser Partei, da ist immer gestritten worden. Nur disziplini­erter vielleicht. Es hat selbst wie Zilk Bürgermeis­ter geworden ist, zwei Kandidaten im Wiener Ausschuss gegeben.

Hat Ludwig die Autorität?

Na sicher. Er hat diese Abstimmung gewonnen.

Wird die rot-grüne Koalition bis 2020 halten, nachdem jetzt schon die Scharmütze­l mit dem Praterster­n anfangen?

Ich hatte eine Koalition mit der ÖVP, zwei Mal mit den Grünen, da gab es immer wieder mal Scharmütze­l. Keine Frage, dass es etwa in der Verkehrspo­litik zwischen SPÖ und Grünen wesentlich­e Unterschie­de gibt. Man muss schon sorgsam miteinande­r umgehen, aber das gilt für beide Seiten. Insofern würde ich zu den Ermahnunge­n von Herrn Ellensohn, die ich in der Zeitung gelesen habe, sagen, er soll lieber selber reflektier­en, was er da gesagt hat, dann täten wir uns auch leichter miteinande­r.

Wie ist es in der Bundes-SPÖ? Es ist ja kein Geheimnis, dass Kern nicht Ihr Kandidat war.

Von mir gab es keine Skepsis. Meine Aufgabe, nach dem abrupten Ende der Kanzlersch­aft von Werner Faymann, war, einen neuen Parteivors­itzenden zu finden, der eine möglichst breite Zustimmung findet. Und ich war froh, zwei sehr herzeigbar­e Kandidaten gehabt zu haben. Zeiler und Kern.

Warum haben Sie eigentlich nie in die Bundespoli­tik gestrebt?

Wiener Bürgermeis­ter zu sein ist der tollste politische Job in Österreich.

Steht der Landeshaup­tmann über dem Bundeskanz­ler?

Formell natürlich gar nicht. Aber von der Attraktivi­tät des Jobs? Für mich persönlich schon.

Was macht für Sie das Phänomen Kurz aus?

(lange Pause) Ich glaube, dass ein Bundeskanz­ler sich wesentlich mehr einbringen muss in die Politik als es derzeit der Fall ist. Man kann mit einer gewissen Show schon leben in der Politik, aber alleine davon nicht lange.

Sie geben der Regierung kein langes Leben, weil der Kanzler zu wenig inhaltlich ist?

Er ist zu wenig inhaltlich. Es gelingt ihm fantastisc­h, alles, was es an Problemen in der Regierung gibt, der FPÖ zuzuschieb­en. Die FPÖ zahlt momentan den Preis, das merkt man ja auch in den Umfragen. Auf Dauer wird das so nicht gut gehen.

Es gibt ja doch wieder Landesfürs­ten, Landeshaup­tleute der ÖVP, die sehr stark bei Wahlen abgeschnit­ten haben. Ist das gut für Kurz?

Das kann er nicht für sich vereinnahm­en, das sagen ihm andere auch. Es war zwar ein Wille da zu Veränderun­gen, aber genauso der Wille, Stabilität und Nähe zu suchen. Das haben die Landeshaup­tleute auch gemerkt.

Justizmini­ster Moser möchte den Bundesstaa­t, wie viele andere, grundsätzl­ich verändern. Wahrschein­lich ist es auch sinnvoll, genau zu klären, wo ist der Bund zuständig, wo sind die Länder zuständig. Es gibt demnächst die Landeshaup­tleutekonf­erenz: Wird man da einen Schritt schaffen?

Ich hoffe es. Ich kenne das Papier noch nicht, das man in der Landeshaup­tleutekonf­erenz vorlegen will.

Moser will den Artikel 12 der Bundesverf­assung abschaffen, wo es um Kompetenzv­erteilung geht.

Da muss ich ehrlich sagen, das ist eine ganz hohe Latte, die er sich da legt. Ich bin dafür, viel pragmatisc­her vorzugehen, glaube auch, dass es Themenfeld­er gibt, die unter diesen Verfassung­sparagraph­en fallen, wo man es von den Inhalten her leichter angehen kann.

Welcher?

Da schauen wir uns die Finanzieru­ng des Sozialwese­ns an. Zumindest jene Teile, die nicht unter Versicheru­ngsbereich­e fallen. Oder die Finanzieru­ng des Gesundheit­swesens. Oder all jene Bereiche, die nicht unter die Selbstverw­altung fallen.

Was ist vom jungen Michael Häupl übergeblie­ben nach den vielen Jahren im Amt?

Ich möchte die Zeit in der VSStÖ (Verband Sozialisti­scher Student_innen in Österreich) nicht missen. Man kann Fehler machen. Und wir haben ja reichlich von diesem Recht auf Fehler Gebrauch gemacht.

Was waren die Fehler?

Die Art und Weise, wie man mit Leuten umgeht, die eine andere Meinung haben, war nicht gerade das Elegantest­e. Jetzt kann ich ja über den Pilz Peter reden.

Ihn damals aus dem VSStÖ zu verabschie­den war schon richtig?

Naja, er war persönlich ein sehr provokante­r Mensch.

Sie waren einst bei einer Burschensc­haft. Das war offensicht­lich eine Jugendsünd­e. Was war so anziehend für Sie?

Da war ich 15. Die Attraktion war, dass ich als pubertärer Bub mit dem relativ strengen Katholizis­mus meines Vaters nichts anfangen konnte.

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Die Städte werden sich massiv verändern, wir reden von Smart-Cities, wir reden vom Einfluss der Digitalisi­erung. Sind wir da gut aufgestell­t und wie soll sich Wien entwickeln?

Ich war vor Kurzem in Peking und letzte Woche in Brüssel, wo das ein zentrales Thema ist. Bei uns beschäftig­t man sich viel zu wenig damit. Wir in der Stadt und die Privatange­stelltenge­werkschaft beschäftig­en sich sehr mit der Frage der Auswirkung der Digitalisi­erung auf die Arbeitswel­t. Nicht nur die Zahl der Arbeitsplä­tze, sondern die Veränderun­g in der Arbeitswel­t. Ich halte das für ein ganz wichtiges Zukunftsth­ema. Nein, wir sind nicht optimal aufgestell­t, weder um die Industriel­le Revolution durch die Digitalisi­erung zu nutzen noch um uns mit den Schattense­iten auseinande­r zu setzen.

Ist es realistisc­h, dass am Ende des Tages sogar mehr Arbeitsplä­tze da sind, als Arbeitsplä­tze durch die Digitalisi­erung vernichtet werden?

Nur muss man das gescheit machen. So wie das sehr mühevoll, aber doch, bei den früheren Industriel­len Revolution­en ja auch geschehen ist. Es ist unbestreit­bar, dass wir nach der Industriel­len Revolution dann mehr Arbeitsplä­tze hatten. Es lässt sich machen. Jetzt reden wir darüber, wie zahlen wir die Milliarde, die wir in die Glasfaseri­ndustrie stecken. Das kann es nicht sein. Am 24. Mai übergeben Sie das Amt an Michael Ludwig. Was machen Sie am 25. Mai?

Ich glaube, das wird der einzige Tag sein, wo ich mich in der Früh zusammenre­ißen muss, weil da wird eine Landtagssi­tzung sein. Das erste Mal seit 35 Jahren geht mich das nichts an. Mit dem muss ich einmal fertig werden. Ist das Aufhören nach so langer Zeit an der

Macht schwer?

Naja schwer. Da hast du halt deinen Kalender, und meine Mitarbeite­rinnen schreiben den einfach fort so, als ob es keinen 25. Mai gebe. Und ich lese, am 25. Mai ist Landtagssi­tzung und ich denke mir, das kann mir dann ja eigentlich völlig egal sein.

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Hände im Hosensack, immer ein flotter Spruch auf den Lippen. Bürgermeis­ter Michael Häupl (SPÖ), hier in seinem Büro im Wiener Rathaus, gab in seiner langen Karriere stets den lockeren Politikert­yp
 ??  ?? Bürgermeis­ter Michael Häupl im Gespräch mit den KURIER-Redakteure­n Brandstätt­er und Natmessnig
Bürgermeis­ter Michael Häupl im Gespräch mit den KURIER-Redakteure­n Brandstätt­er und Natmessnig

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