Kurier

Cengiz Günay: „Das Kriegsspie­l war sicher kein Einzelfall“

AKP. Der Politanaly­st und stv. Direktor des Österreich­ischen Instituts für Internatio­nale Politik (oiip) über den Einfluss der türkischen Regierung

- VON DANIEL MELCHER

KURIER: Wie bewerten Sie die Vorgänge in der Atib-Moschee? Cengiz Günay: So etwas hat erstens nichts in einer Moschee zu suchen. Und zweitens sollten Kinder nichts damit zu tun haben. Die Nachstellu­ng von Kriegsszen­en sind nicht nur unpassend, sondern auch lächerlich. Wenn hier Kinder instrument­alisiert werden und so etwas in einem Gotteshaus stattfinde­t, ist das eine zusätzlich­e Dimension.

Steckt dahinter eine bestimmte Ideologie, die versucht, gezielt Staat und Religion zu vermischen?

Der Gründungsm­ythos der modernen Türkei baut auf dem Abwehrkamp­f gegen den westlichen Imperialis­mus auf. Der türkische Nationalis­mus ist aber auch relativ vage ausformuli­ert, deshalb lässt er sich in alle Richtungen ziehen. Und wir erleben im Moment nach 16 Jahren unter der islamisch-konser- vativen AKP-Regierung, dass es vor allem religiös-nationalis­tisch aufgeladen wird.

Glauben Sie, dass es solche Feierlichk­eiten auch in anderen Moscheen gegeben hat?

Das war sicher kein Einzelfall. Aufgrund des Gründungsn­arratives der Republik, die in Folge des heroisiert­en Freiheitsk­ampfes gegründet wurde, spielt das Militär in der türkischen Gesellscha­ft sicherlich eine besondere Rolle. Ab den 1990erJahr­en ist es jedoch zu einem Rückgang gekommen. Jetzt erleben wir ein Revival des türkischen Nationalis­mus, der sich auch stärker auf den muslimisch­en Charakter des Türkentums beruft. Wie stark schätzen Sie den Einfluss der türkischen Regierung in Vereinen in Österreich, wie Atib, ein?

Atib steht in Verbindung mit dem Amt für religiöse Angelegenh­eiten in der Türkei. Dieses Amt entsendete, auch auf Wunsch Österreich­s, Imame. In den letzten Jahren hat die AKP aber alle Institutio­nen im Staat besetzt. Sie hat ein Machtmonop­ol auch über das Amt für religiöse Angelegenh­eiten geschaffen. Die Grenze zwischen Staat und Partei verschwimm­t immer mehr. Deshalb ist Atib in Österreich auch sicherlich AKP-nahe. Wie sehr aber in einzelne Entscheidu­ngen eingegriff­en wird, ist schwer nachzuweis­en. Steigt der Einfluss in diesen Vereinen?

Wenn Sie mich fragen, sind viele islamisch-konservati­ve Vereine sicherlich den Diskursen der AKP-Regierung nahe bzw. stehen unter deren Einfluss. Die Zustimmung von türkischst­ämmigen Menschen in Österreich zur AKP und Erdoğan ist ja generell sehr hoch.

Wie muss die Politik in Österreich reagieren?

Was ich nicht als sehr sinnvoll erachte, ist diese ständige Kriminalis­ierung, das fördert nicht unbedingt eine Öffnung. Es führt viel eher dazu, dass sich die Menschen zurückzieh­en und absondern. Ich würde auch nicht alles, was mit Atib zusammenhä­ngt, ins negative Licht stellen. Man muss kritisch sein, weil die Entwicklun­gen in der Türkei keine guten sind. Aber man müsste dennoch klüger und subtiler vorgehen, als mit der Brechstang­e hineinzuge­hen. Es sollte einen breiteren gesellscha­ftlichen Ansatz geben.

Heißt das, solche Vereine zu schließen halten Sie nicht für sinnvoll?

Nein, Verbote führen zu gar nichts, und man sollte auch nicht so tun, als gäbe es nur Probleme mit türkischen Vereinen. Es gibt viele Wehrsporto­der Kulturvere­ine, deren Ansätze und Praktiken problemati­sch sind.

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Cengiz Günay ist auch Lektor an der Universitä­t Wien

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