Jugendarbeiter: „Nach fünf Minuten war ich schockiert“
Entwicklung. Wie sich Jugendliche durch die Politik verändern lassen
Wie die politischen Instrumente in der Türkei auf Jugendliche in Österreich abfärben, weiß Ali Gedik. Gedik arbeitete 18 Jahre als Jugendarbeiter, nimmt sich den Problemen derer seit Jahrzehnten an. Er ist gebürtiger Kurde und lebt seit 42 Jahren in Österreich.
Einer jener Teenager, die er betreut hat, war Cem (Name geändert, Anm.). Cem war für viele ein netter Kerl. Der 17-Jährige war in mehreren Parks in Favoriten gern gesehen, fungierte dort als Vorbild für andere Teenager. „Er war so was wie der Sprecher und ein sehr intelligenter Jugendlicher“, schildert Gedik.
Nach einigen Jahre hatte er den jungen Türken aus den Augen verloren. „Das ist an sich normal. Doch vor einem Jahr hat mir dann jemand erzählt, dass er im 10. Bezirk als Frisör arbeitet“, erzählt der gebürtige Kurde. Der ehemalige Jugendarbeiter besuchte den mittlerweile über 30-Jährigen. „Während er mir die Haare geschnitten hat, habe ich versucht, herauszufinden, wo er jetzt gerade steht. Nach fünf Minuten war ich schockiert.“
Cem lobte plötzlich Erdoğan in den Himmel und sprach dabei vom Erlöser. „Erdoğan ist der Retter. Nicht nur für die Moslems in der Türkei. Dem müssen wir folgen, lieber Bruder“, meinte er. „Du lebst in Wien, du kennst die Türkei nicht einmal. Du bist höchstens einmal im Jahr für zwei Wochen dort“, erwiderte Gedik. Doch Cem verteidigte sich: „Bitte verletze nicht meinen nationalen Stolz.“
Die Kinder und Jugendlichen werden seiner Meinung nach durch den politischen Islam und Nationalismus stark manipuliert. „Hier wird eine Gehirnwäsche vollzogen. Diese Kinder werden in zehn bis 15 Jahren in unserer Gesellschaft eine noch größere Rolle spielen. Und werden irgendwo studieren, arbeiten und in einer Führungsposition sein“, prognostiziert Gedik. Er befürchte in den nächsten Jahren eine noch stärkere Parallelgesell- schaft. Bereits jetzt sei es so, dass sich das Klima innerhalb der türkischen Community verändert hätte.
Sachliche Diskussionen würden weniger werden. „Die Menschen treten miteinander weniger in Dialog. Und das in der gesamten Gesellschaft.“