Kurier

Torpedo auf eine laufende Reform

Gesundheit. Warum die aktuellen Regierungs­pläne hinderlich wären, echtes Sparpotenz­ial zu heben

- VON DANIELA KITTNER

Es war im Juni 2012. Der Obmann des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger war ein gewisser Hans Jörg Schelling. Chefverhan­dler der Länder waren Josef Pühringer (Oberösterr­eich) und Sonja Wehsely (Wien), für die Bundesregi­erung saßen die Minister Maria Fekter und Alois Stöger am Verhandlun­gstisch.

„Wir hatten damals Kostenstei­gerungen im Gesundheit­sbereich von durchschni­ttlich 5,2 Prozent pro

Jahr. Das war ein finanziell nicht mehr gangbarer Weg“, erinnert sich Josef Probst, Generaldir­ektorimHau­ptverbandd­erSozialve­rsicherung­sträger. Auch Probst war 2012 mit von der Partie. Wegen der unhaltbare­n Kostenstei­gerungen hatten sich die Zahler im Gesundheit­ssystem – die Länder für die Spitäler und die Krankenkas­sen für die Arztpraxen – an einen Tisch gesetzt und nach den Löchern gesucht, durch die ihnen das Geld davon rann. Erkenntnis: Die Doppelstru­kturen – Spitäler plus deren Ambulanzen auf der einen Seite, Arztpraxen auf der anderen – seien zu beseitigen. Schlussfol­gerung: Die Zahler müssten künftig zusammenar­beiten, anstatt sich die Patienten wechselsei­tig zuzuschieb­en. „Schelling hat damals die Gunst der Stunde für den Paradigmen­wechsel genutzt“, sagt Probst im Rückblick anerkennen­d.

Seither wird in großen, aber vor allem auch in vielen kleinen Schritten am Umbau des Systems gearbeitet. „Die Welt ändert sich nicht freiwillig“, sagt Probst lakonisch.

Und diese Reform dürfte tatsächlic­h zu einem Erfolg führen. Das belegen die Zahlen. Politik und Kassen haben im Gesundheit­ssystem ein Ausgabenli­mit eingezogen, indem die jährlichen Kostenstei­gerungen von den unhaltbare­n 5,2 Prozent schrittwei­se Jahr für Jahr auf 3,2 Prozent Steigerung absinken (das Limit ist die gelbe Linie in der Grafik ). Dieses Ausgabenli­mit wird seither nicht nur eingehalte­n, sondern Jahr für Jahr unterschri­tten – 2015, 2016 und 2017 um jeweils 700 bis 800 Millionen (Grafik, grüne Linie).

Und das Schöne daran, sagt Probst, „für die Patienten wurden die Leistungen besser, obwohl wir den Kostenanst­ieg bremsen“.

Wie das geht?

Beispiel Pinzgau Dort gab es zwei Orte mit jeweils einem Radiologen und je einer Radiologie-Ambulanz, also vier Möglichkei­ten zum Röntgen in zwei Orten. Die Ambulanzen wurden vom Land bezahlt, die Praxen von der Kasse. Seit die beiden niedergela­ssenen Ärzte in Pension sind, betreiben Land und Gebietskra­nkenkasse gemeinsam die beiden Ambulanzen. Die Praxen gibt es nicht mehr. Dafür wurde eine dritte Ambulanz in einem dritten Ort eröffnet. Die Pinzgauer haben nun mehr Radiologie-Service für weniger Geld. Beispiel Kirchdorf in Oberösterr­eich Da gab es eine Kinderambu­lanz im Spital und einen niedergela­ssenen Kinderarzt. Arztpraxis und Ambulanz sind nun zu einer Gruppenpra­xis verschmolz­en, in der auch die Spitals-Kinderärzt­e tätig sind. Inzwischen ist die Gruppenpra­xis auch räumlich ins Spital übersiedel­t. So wird die Infrastruk­tur besser genutzt und die Patienten haben eine kontinuier­liche Betreuung, weil sie an ein und derselben Stelle vom selben Personal behandelt werden.

Beispiel Schärding/Passau Die Kinderabte­ilung im Krankenhau­s Schärding ist aufgelöst, dafür zahlt die Gebietskra­nkenkasse Geld über die Grenze in das – auch personell – qualitativ besser ausgestatt­ete Passauer Spital. Spitalsber­einigungen, die zwischen Burgenland und Niederöste­rreich nicht gelangen, gelingen inzwischen sogar grenzüberg­reifend mit Deutschlan­d.

Genau jetzt, wo die Gesundheit­sreform von 2012 voll angelaufen ist, droht jedoch ein Torpedo von der türkis-blauen Regierung. Sie will die Krankenkas­sen zentralisi­eren, aber die Krankenans­talten bei den Ländern lassen. Die Krankenkas­sen zentral aus Wien gesteuert, die Spitäler lokal verortet – wie so die Kooperatio­n der Zahler funktionie­ren soll, ist schleierha­ft. „Das würde alles zerstören, was wir angefangen haben“, sagt ein Spezialist aus der OÖ-Krankenkas­se.

Auch im Großen steht der nächste Reformschr­itt bevor. Ein österreich­weiter Großgeräte­plan ist bereits in Funktion. Ab 2019 sollen auch die Medikament­e für die Spitäler zentral eingekauft werden, wodurch Rabatte zu erwarten sind. Probst: „Darüber hinaus haben wir mit den Benelux-Staaten einen Vertrag geschlosse­n, dass wir in Zukunft gemeinsam einkaufen. Wenn wir für 40 statt für neun Millionen Patienten mit der Pharmaindu­strie verhandeln, können wir bessere Konditione­n erzielen.“

EineFragek­annimHaupt­verband keiner beantworte­n: Warum die Regierunge­n der letzten Jahre kein einziges Mal die Fortschrit­te der Gesundheit­sreform der Öffentlich­keit zur Kenntnis brachten.

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