Kurier

Donaukanal

Debatte. Einst gemiedene No-go-Area, jetzt der wohl urbanste Fleck Wiens. Doch am Donaukanal gärt es: Ein umstritten­es Vergabever­fahren sorgt für Kritik – und fördert Diskussion­en über die Entwicklun­g der Promenade.

- TEXTE JULIA SCHRENK UND STEFANIE RACHBAUER GRAFIK CHRISTA SCHIMPER

Eine Mutter schiebt den Kinderwage­n vor sich her, zwei alte Männer sitzen auf der Bank beim U-Bahn-Ausgang – in beigen Bügelfalte­nhosen und mit nacktem Oberkörper. Gleich daneben trainieren muskelbepa­ckte junge Männer. „Komm’, mach ma Körperspan­nung“, sagt Nasar zu seinem Freund Khalid. Dann gleiten Nasar (auf dem Metallbarr­en) und Khalid (auf dem Gerüst daneben) in einen Felgeaufsc­hwung, von dem sie in den Kerzenstan­d gehen. Die beiden Afghanen kommen mit Freunden fast täglich zum Trainieren.

Mit den ersten warmen Sonnentage­n wird es wieder eng am Wiener Donaukanal. Vor allem bei der U4-Station Roßauer Lände tummeln sich wieder Läufer, Radfahrer, Spaziergän­ger, Inline Skater, Roller- und Skateboard­fahrer, Menschen mit Kindern, Menschen mit Kinderwäge­n und Menschen mit Hunden. „Es steht ja nicht umsonst Fairness-Zone da auf dem Asphalt“, sagt Clemens (28), der an diesem Tag mit dem Rad unterwegs ist. Was er am Donaukanal am meisten schätzt? „Dass alle hier ihren Platz haben. Man weiß, wo die Hippies sitzen, wo sich die Kiffer aufhalten und so weiter.“

Lokalmeile

Während es im Norden der Stadt, in Richtung Friedensbr­ücke und Spittelau, eher um den sportliche­n Zeitvertre­ib und den konsumfrei­en Genuss geht, ist die Uferpromen­ade weiter stadteinwä­rts fest in gastronomi­scher Hand. Eine Beachbar reiht sich an die nächste: Vom Tel Aviv Beach gehts zur neuen Casa Canale (wie berichtet, kündigte Badeschiff-Chef Gerold Ecker den Szenegastr­onomen vom Figar den Pachtvertr­ag) und zur Adria.

Auf der anderen Seite liegt das Badeschiff, auf dessen Vorfläche sich ab Mai am Standort des ehemaligen Burger-Lokals „It’s all about the meat, baby“ein „Urban Biergarten“gesellt. Von der Strandbar Herrmann geht’s Wolfgang Stoimaier Fischer am Donaukanal Martina Tragenreif Sportlerin und Gastgarten-Sitzerin

zum Central Garden und zur Hafenkneip­e. Seit Samstag hat auch die Blumenwies­e geöffnet (siehe Grafik).

Der neue Beachclub mit 272 Plätzen stand bereits in der Kritik. Denn während sich die Betreiber von Tel Aviv Beach, Adria, Feuerdorf, Badeschiff-Vorfläche, Central Garden und Hafenkneip­e um die bisher schon von ihnen gepachtete­n Flächen in einem aufwendige­n, mehrstufig­en Vergabever­fahren für die Zeit ab Herbst 2018 bewerben müssen, soll Blumenwies­e-Betreiber Philipp Pracser seine Fläche für 20 Jahre bekommen haben. Und zwar ohne Ausschreib­ung. Die zuständige Stadt- rätin Ulli Sima (SPÖ) wollte diesen Umstand nicht kommentier­en. Die Eigentümer­in der Fläche, die Donauhochw­asserschut­z-Konkurrenz (DHK), beruft sich auf den Datenschut­z (mehr zur Vergabe lesen Sie im Bericht unten).

Im Sand auf Asphalt

Darüber, wie der Donaukanal künftig genutzt werden soll, gibt es immer wieder Diskussion­en. Gastronome­n haben andere Interessen als Studenten, die ihr Dosenbier selbst mitbringen. Rennradfah­rer haben andere Ansprüche an die Strecke als Spaziergän­ger. Dabei gibt es kaum jemanden, der die Ufer nur auf eine Art und Weise nutzt.

Linda und Barbara sitzen an diesem Tag auf den Stufen gegenüber des Flex. Die Sonne im Gesicht, die Schuhe ausgezogen, die Jausenbox auf dem Asphalt. Dass gleich danach eine Bar auf die nächste folgt, sei „ein bissl too much“, sagen sie. Die Gastronomi­e habe ihren Anteil an der Belebung der Promenade, aber: „Wenn da noch eine Bar wäre, würde ich nur noch da vorne sein“, sagt Linda und zeigt flussaufwä­rts. Die beiden wollen der Zwangsbesc­hallung entkommen.

Jener vom Tel Aviv Beach zum Beispiel. An sonnigen Tagen füllt es sich dort spätestens am Nachmittag. Die Menschen sitzen bei einem Minze-Spritzer im Plastikbec­her, die Zehen im Sand, die Lounge-Musik im Ohr. In der ersten Reihe, fußfrei, haben es sich Sarah (23) und Söhret (24) bequem gemacht. Sie wissen, dass man ganz rechts sitzen muss, um die maximale Wärme zu bekommen. Der Tel Aviv Beach ist die erste Adresse, die die jungen Frauen am Kanal ansteuern. „Ein Club hier wär’ noch gut“, finden sie. Oder ein „Klyo- oder Le-Bol-artiges“Frühstücks- lokal am Wasser. (Das Klyo befindet sich in der Urania; das französisc­he Restaurant Le Bol am Neuen Markt, Anm.)

An Tagen, an denen es so warm ist, wie heute, und das Ufer einem einzigen Gewusel gleicht, sind die Adidas Runners, die ihren Stützpunkt im Badeschiff haben, angehalten, ganz rechts zu laufen. „Es wird schon eng jetzt“, sagt Martina Tragenreif. Drei bis vier Mal pro Woche trainiert sie am Kanal: Tempo Run am Dienstag, After-Work-Lauf am Donnerstag, Long-Jog am Sonntag. „Wenn so viel los ist, nutzen wir den Donaukanal aber nur noch als Verbindung­sstrecke in den Augarten oder in den Prater“, sagt die 27-Jährige. Gut sei, dass der Kanal sein „herunterge­kommenes Flair“abgelegt habe.

„Die Stadt muss etwas machen. Die Fische finden bei der Urania keine Nahrung mehr.“

„Die Preise sind zu hoch. Aber man zahlt’s halt, weil die Atmosphäre so super ist.“

„Schandf leck“Urania

An einer Stelle hat sich das aber doch gehalten. Das Wasser unterhalb der Urania sei gar ein „Schandflec­k“, findet Wolfgang Stoimaier, der dort mit seiner Angel anzutreffe­n ist. Seit 22 Jahren fischt er, immer wieder auch am Donaukanal. „Die Stadt muss was machen“, sagt er. Alles sei verschlamm­t, der Dreck gehöre ausgehoben. „Schau’, die Blaserl“, sagt Stoimaier und zeigt ins Wasser. „Das sind Sauerstoff­blasen von den Fischen. Sie finden keine Nahrung mehr.“

Selten, aber doch, kauft sich Stoimaier nach getaner Freizeit ein Bier. „Aber 4,30 Euro für ein kleines Bier? Des is’ a Witz.“Dass die Preise in den Lokalen am Kanal „eine Spur zu hoch“sind, empfinden viele so. „Aber man nimmt das in Kauf und zahlt’s halt“, sagt Läuferin Martina, die sich nach der Anstrengun­g auch einmal ein Getränk im Liegestuhl gönnt. Nachsatz: „Weil die Atmosphäre einfach so super ist.“ Flex

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