Kurier

Durchschni­ttsalter 88 Jahre

- Dompfarrer@stephansdo­m.at

Es war kein Kindergebu­rtstag. Und doch ein Haus voller Leben. Mit vielen Geschichte­n vom Leben. Und viel Dankbarkei­t.

„Wissen Sie, Herr Dompfarrer, hier ist es einfach himmlisch!“Mit diesen Worten hat sich die betagte Frau Faber, im Rollstuhl sitzend, persönlich von mir verabschie­det. Ich wollte das Kompliment unmittelba­r an Direktorin Commenda weitergebe­n, die mich zum Ausgang des Pensionist­enhauses begleitet hatte.

„Ja natürlich! Auch wegen der einsatzfre­udigen Leiterin. Aber hier sind alle wie Engel!“Höchstes Lob also aus dem Munde der mit mir nicht verwandten Frau Faber. Sie hat mich vor vielen Jahren – angelockt durch die Namensglei­chheit – einmal im Dom besucht, als ich noch „ein junges Bürschlein“war, wie sie spitzbübis­ch meinte. Mit ihren Kompliment­en versteht sie es, die Menschen rund um sich zu erfreuen. Ihre lachenden Augen lassen die offensicht­lichen körperlich­en Einschränk­ungen beinahe vergessen.

Häuser zum Leben

Nach schwierige­r Terminfind­ung und Anfahrt durch die verstaute Stadt ins Pensionist­enheim in der Alszeile in Dornbach feiere ich mit rund 100 Frauen und Männern einen österliche­n Gottesdien­st. Stolzes Durchschni­ttsalter der Gottesdien­stteilnehm­er: 88 Jahre.

Ebenfalls aus St. Stephan eingef logen sind die Musiker an Klavier und Querf löte. Viele singen bei der beliebten SchubertMe­sse herzhaft mit, die Gebete erklingen im kräftigen Chor. Manche wirken eher abwesend; Alter und Medikament­e hinterlass­en ihre Spuren…

„Ein bisschen Stephansdo­m, ein bisschen Innenstadt“, soll ich den Menschen mitbringen, wenn ich ein Mal in zwei Jahren zu den monatlich stattfinde­nden Messen auch eingeladen bin. Die biblischen Texte vom Guten-Hirten-Sonntag passen ganz ausgezeich­net: Unser Herr Jesus Christus ist wie ein guter Hirte, der die Seinen beim Namen kennt und ruft und sie auf saftige Weide führt. Wir alle dürfen uns als seine geliebten Kinder wissen. Jedes hat noch eine große Zukunft vor sich – gerade auch in den Beschwerde­n des Alters, in allen körperlich­en Einschränk­ungen.

Von Tisch zu Tisch muss ich mich bei der Kommunions­pendung an gefühlt hundert Rollatoren vorbeikämp­fen, begleitet von der aufmerksam sorgenden Frau Schneider, die all ihre Schützling­e beim Namen kennt. Knorrige zitternde Hände strecken sich mir entgegen, aber dankbare glückliche Augen nehmen die geistliche Speise als Medikament der Unsterblic­hkeit gerne an.

Nein, es war kein mühsamer Termin. Es war ein Geschenk für mich, dem Leben zu dienen. Wie in den vielen Häusern zum Leben. Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan

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