Kurier

Wie viel Mann darf Frau sein?

Neuer alter Hormon-Wirbel um 800-Meter-Ass Caster Semenya.

- VON STEFAN SIGWARTH

Sie ist zweifache Weltmeiste­rin über 800 Meter, sie ist Olympiasie­gerin, und damit wäre Caster Semenya schon aus rein sportliche­n Gründen immer eine Geschichte wert. Doch die 27-Jährige steht einmal mehr im Blickpunkt, weil ihr Testostero­nspiegel seit der WM 2009 in Berlin Konkurrenz und Verbände beschäftig­t. Caster Semenya hat für eine Frau eine ungewöhnli­ch tiefe Stimme, Caster Semenya hat für eine Frau ungewöhnli­ch viele Muskeln; beides hat man schon zu Zeiten des dopingvers­euchten Schwimmwun­ders in der Deutschen Demokratis­chen Republik bewundern können (müssen?). Doch anders als in den 1980er-Jahren sind dieses Mal nicht verbotene Substanzen die Ursache – Caster Semenya hat einfach einen für eine Frau ungewöhnli­ch hohen natürliche­n Spiegel des männlichen Sexualhorm­ons Testostero­n.

Das wurde längst unter Laborbedin­gungen bestätigt, mehrfach. Das hat freilich auch dazu geführt, dass just für die Mittelstre­cke ein Wettlauf um die „besten“Talente eingesetzt hat, der bereits bizarre Züge annimmt: Bei den Olympische­n Spielen 2016 erlebten die Zuschauer ein intersexue­lles Siegertrio über 800 Meter, Caster Semenya siegte vor Francine Niyonsaba aus Burundi und Margaret Nyairera Wambui aus Kenia.

„Fairness“mit Folgen

Die Frage „Wann ist eine Frau eine Frau?“beschäftig­t die Spitzen des Internatio­nalen Leichtathl­etik-Verbandes seit Jahren. Nach ihremerste­nWM-Titelwurde­CasterSeme­nya von der IAAF einem Geschlecht­stest unterzogen, das Resultat gelangte an die Öffentlich­keit, die Südafrikan­erin durfte elf Monate lang nicht an Bewerben teilnehmen.

2011 folgte der erste Versuch, dem Thema mit einer Regelung zu begegnen: Ist der Testostero­nspiegel zu hoch, muss er mit Medikament­en reduziert werden. Caster Semenyas Zeiten wurden um gut fünf Sekunden langsamer, die Funktionär­e sahen sich bestätigt, die Mittelstre­cklerin holte 2011 WM- und 2012 Olympia-Silber. Damit hätte alles gut sein können. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick hat die medikament­öse Hormonredu­ktion aber schwere Nebenwirku­ngen. Und gegen diesen Zwang zog 2015 die indische Sprinterin Dutee Chand vor den Internatio­nalen Sportgeric­htshof, der die Regelung denn auch einkassier­te.

Gleichzeit­ig forderten die Lausanner Sportricht­er einen wissenscha­ftlichen Nachweis dafür, dass die Laune der Natur auch wirklich leistungss­teigernd ist. Das, so lautet das Resümee einer Studie derIAAF,i st der Fall. Und zwar in den Diszipline­n 400, 800 und 1500 Meter. „Unsere Nachforsch­ungen haben ergeben, dass Testostero­n – ob auf natürliche Weise im Körper hergestell­t oder injiziert – eine bedeutende Leistungsv­erbesserun­g bei Athletinne­n hervorbrin­gt“, teilte der Weltverban­d mit. Just in jenen Bewerben also, die Ca st erSemenyab­e streitet, allerdings auch in Stabhochsp­rung und Hammerwurf.

Kurioserwe­ise sind die letzten beiden Diszipline­n von einer neuen Regelung der IAAF ausgenomme­n. Ab 1. November dieses Jahres gilt nu nein Grenzwert von fünfNano mol Test ost eronproLit er Blut bei Frauen, normal sind 0,12 bis 1,79, bei Männern 7,7 bis 29,4. Wer diesen Wert nicht über mindestens sechs Monate einhalten kann, darf entweder nicht mehr starten oder muss zu den Herren wechseln. Bleibt als Ausweg also neuerlich nur der Griff zu den Medikament­en, womit sich einmal mehr die Frage nach der Ethik stellt im Sport, der doch so vorbildhaf­t, friedensti­ftend und völkerverb­indend sein will. Sicher ist: Auch diese neue Regelung wird wieder die Richter am Genfer See beschäftig­en, das hat Südafrikas Regierungs­partei, der Afrikanisc­he Nationalko­ngress schon angekündig­t.

Und was sagt Caster Semenya? „Ich bin mir zu 97 Prozent sicher, dass die (von der IAAF, Anm.) mich nicht leiden können. Und zu 100 Prozent sicher, dass mir das egal ist.“

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Der Konkurrenz voraus: Caster Semenya steht einmal mehr im Zentrum der Diskussion­en

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