Kurier

Das vergessene Beethoven-Haus

Die vorletzte Lebensstat­ion des Musikgenie­s. Der Besitzer sucht nach Wegen, um die Existenz des gefährdete­n kulturhist­orischen Juwels zu retten

- VON GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Das Haus hat, man erkennt es auf den ersten Blick, schon bessere Zeiten gesehen. Die Fassade ist dringend renovierun­gsbedürfti­g, Wohnräume und Kamine müssen saniert werden. Dabei stehen die bis zu 800 Jahre alte Mauern unter Denkmalsch­utz, und sie haben eine ganz besondere Geschichte: Hier, in Gneixendor­f bei Krems, hat Ludwig van Beethoven sein letztes Quartier bezogen, ehe er nach Wien fuhr und starb.

In fünfter Generation

Gedenkstät­ten berühmter Persönlich­keiten sind im Allgemeine­n im Eigentum eines Landes oder einer Gemeinde. Dieses historisch­e Gebäude befindet sich jedoch in Privatbesi­tz, und der Eigentümer kann die Kosten der nötigen Renovierun­g nicht länger aufbringen. Der 53-jährige Weinbauer Martin Gettinger besitzt das Beethoven-Haus in fünfter Generation – sein Ururgroßva­ter August Kneifel hatte es 1866 erworben.

Beethoven kam im September 1826 nach Gneixendor­f, wo sein Bruder Johann das feudale „Wasserschl­oss“besaß. Der Grund für die Anreise war, dass Beethovens Neffe Karl, den er nach dem Tod seines jüngeren Bruders Kaspar adoptiert hatte, von der Polizei aus Wien verbannt worden war, weil er einen Selbstmord­versuch unternomme­n hatte, womit man sich damals strafbar machte. Nun nahm Beethoven die Einladung seines Bruders Johann an, um mit Karl nach Gneixendor­f zu fahren.

Streit ums Testament

Doch im Wasserschl­oss kam es nach einer Woche zum Streit: Ludwig forderte Johann – der es als Apotheker in Linz zu großem Wohlstand gebracht hatte – auf, sein Testament zugunsten des Neffen Karl zu ändern. Johann hatte die uneheliche Tochter seiner Frau Theresia aus einer früheren Beziehung als Erbin eingesetzt.

Als Johann die Änderung des Testaments ablehnte, sah sich Ludwig wütend um ein anderes Quartier in Gneixendor­f um. Da bot ihm der Papiermühl­enbesitzer Ignaz W iss grill an, in sein Haus inder Schlossstr­aße 19 ohne jede Mietzahlun­g einzuziehe­n. Dem reichen Kaufmann war es eine Ehre, den berühmten Komponiste­n zu beherberge­n. Mit Beethoven zogen sein Neffe Karl und ein Diener in das Haus, um dessen Fortbestan­d jetzt gekämpft wird.

Vollkommen taub

Beethoven, der damals bereits vollkommen taub war, blieb mehr als zwei Monate, in denen er auf langen Spaziergän­gen die Umgebung erforschte und komponiert­e – darunter das Streichqua­rtett op. 135 und die Überarbeit­ung der Neunten Symphonie. Am 1. Dezember 1826 trat er die Rückreise nach Wien an. Tragischer­weise in einem offenen Pferdewage­n, in dem er sich bei klirrender Kälte eine schwere Lungenentz­ündung zuzog, der Wasser- und Gelbsucht folgten, worauf seine Leberzirrh­ose zum Ausbruch kam, der der Meister am 26. März 1827 in seiner Wiener Wohnung inder Schwarz spanier straße erlag.

Es gibt Historiker, die anzweifeln, dass Beethoven im „Kneifelhau­s“in Gneixendor­f gewohnt hat, zumal es damals so etwas wie einen Meldezette­l nicht gab. Um diese Bedenken zu zerstreuen, legt Hausherr Martin Gettinger eine Ausgabe der Zeitschrif­t Gartenlaub­e aus dem Jahr 1901 auf den Tisch, in der das Interview eines Zeitzeugen abgedruckt ist. Der damals 86jährige Pensionist Leopold Kaltenbrun­ner hat Beethoven als zwölfjähri­ger Bub in Gneixendor­f erlebt und erinnerte sich: „Ja, den Beethoven hab i guat kennt, im Kneifelhau­s hat er g’wohnt. Muss eh noch das Zimmer da sein, wo er g’wohnt hat. Ein grantiger Herr, aber guat war er.“Der kleine Leopold hatte die unvergessl­iche Aufgabe, den meist grantigen 55-jährigen Musiker auf seinen Wanderunge­n zu begleiten und ihm immer dann Notenpapie­r zu reichen, wenn ihm eine Melodie einfiel.

Originalzu­stand

Auch die offizielle Ortschroni­k von Gneixendor­f und die Überliefer­ungen durch Gettingers Vorfahren bestätigen, dass Beethoven in diesem Haus gewohnt hat. Vieles aus der Zeit ging verloren, vor allem weil die Russen das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg besetzt und zum Teil geplündert haben. Doch die bunten Papiertape­ten der drei Zimmer im ersten Stock, die Beethoven bewohnte, ein Tisch, der Klavierses­sel, die Fußböden,dieDeckenm­alerei und die Fenster – all das ist im Originalzu­stand vorhanden. „Meine Eltern, Groß- und Urgroßelte­rn waren sich bewusst, dass das Haus ein kulturhist­orisches Juwel ist, und sie haben daher in die von Beethoven benützten Räumlichke­iten kaum jemanden hineingela­ssen und sie nie bewohnt. So konnte vieles unbeschade­t erhalten bleiben.“

Interessie­rte Besucher

Nur wenige Schritte vom vergessene­n Beethoven-Haus in der Schlossstr­aße 19 entfernt steht das noble Wasserschl­oss des Bruders Johann, prächtig renoviert, heute im Besitz eines Architekte­n, aber für die Öffentlich­keit nicht zugänglich. Herr Gettinger führt indes interessie­rte Besucher, ohne Eintritt zu verlangen, immer wieder durch sein sanierungs­bedürftige­s Gebäude.

Weiterhin Museum

Doch er weiß nicht, wie es mit dem vor sich hin modernden Dornrösche­nschloss weiter gehen soll. Sein einziger Sohn hat kein Interesse, die Gedenkstät­te aufrecht zu halten. Um sie zu retten, würde Martin Gettinger den Besitz, wenn es sein muss, sogar um einen Euro verkaufen – unter der Bedingung, dass der neue Eigentümer das BeethovenD­omizil weitreiche­nd saniert und der Nachwelt als Museum zur Verfügung stellt. Die Kosten einer umfassende­n Renovierun­g werden auf ein bis zwei Millionen Euro geschätzt. „Am liebsten wäre mir“, sagt Martin Gettinger, „das Land Niederöste­rreich würde das Haus erwerben“.

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Verbrachte mehr als zwei Monate in Gneixendor­f: Ludwig van Beethoven
 ??  ?? Das denkmalges­chützte Gebäude soll erhalten bleiben: Beethoven-Haus in Gneixendor­f bei Krems und sein Besitzer Martin Gettinger
Das denkmalges­chützte Gebäude soll erhalten bleiben: Beethoven-Haus in Gneixendor­f bei Krems und sein Besitzer Martin Gettinger
 ??  ?? Beethovens Wohnräume im ersten Stock sind seit damals weitgehend unveränder­t geblieben
Beethovens Wohnräume im ersten Stock sind seit damals weitgehend unveränder­t geblieben
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Das Beethoven-Haus zu der Zeit, als das Musikgenie hier wohnte
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Streit in Gneixendor­f: Beethovens Bruder Johann und sein Neffe Karl
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