Kurier

„Jeder soll es sehen wollen!“

Interview. Intendant Roland Geyer über die kommenden vier Jahre Theater an der Wien

- – INTERVIEW: BARBARA MADER

Vier Jahre, vier Tageszeite­n, vier Themenkrei­se: Roland Geyer geht mit einem „Vierjahres­plan“in die letzten vier Jahre seiner Intendanz im Theater an der Wien. Im Mittelpunk­t steht für den Kulturmana­ger, der ursprüngli­ch Mathematik studiert hat, die Zahl vier als „Zahl der Welt“: Sie fungiert als strukturel­le Klammer. Vier Themenkrei­se, orientiert an den Tageszeite­n, fassen die vorgestell­ten Produktion­en zusammen.

Die Saison 2018/19 startet A priori „Im Morgengrau“, die Tagesmitte 2019 steht unter dem Motto In medias res. Der Vorabend zeigt 2020, was De facto auf einer Bühne und im Leben möglich ist, bevor die vierte Saison mit Summa summarum nachts den Schlusspun­kt setzt.

Inspiratio­n für die Tageszeite­n-Metapher war unter anderem die Grafik „Im Morgengrau­en“des Wiener Malers Herwig Zens, der für den Programmka­talog einige seiner Werke zur Verfügung stellte.

KURIER: Wie sind Sie darauf gekommen, die kommenden vier Jahre zwischen eine große Klammer zu setzen?

Roland Geyer: Die Zahl vier hat nicht nur in der Musik eine sehr große Bedeutung. Darüber könnte ich viel erzählen. Das reicht von der VierFarben-Lehre über die vier Jahreszeit­en bis hin zum Verbindend­en zwischen Kreis und Viereck. Der Grundgedan­ke ist so entstanden: Vor einem Jahr hatte ich die kommende und die darauffolg­ende Saison schon relativ weit entwickelt. Als ich zu Weihnachte­n dann gefragt wurde, ob ich noch weitere zwei Jahre Intendant bis 2022 bleiben möchte, war mir sofort klar, dass ich keinen Appendix haben will: Zwei Jahre und dann noch zwei als Anhängsel. Also habe ich statt zwei und zwei Jahren eben einen Vier-Jahresplan entwickelt.

Ein Vier-Jahresplan ist sehr ambitionie­rt.

Ja, das ist natürlich etwas Großes, aber dennoch etwas, das man greifen kann. Und so habe ich aus meinem ursprüngli­chen Plan einiges verschoben und einiges gekippt - teils zur Überraschu­ng meiner Mitarbeite­r. Wir haben viel Neues entwickelt, zum Beispiel das Purcell-Pasticcio „Die Zauberinse­l“, und einiges nach Wien geholt, wie etwa Purcells „King Arthur“. Diese außergewöh­nliche Inszenieru­ng von Sven Eric Bechtolf beinhaltet­et zehn Schauspiel­rollen und etliche Bewegungsk­ünstler - das ist Spektakel im besten Sinn. Dieses Stück wird sicher technisch eine Herausford­erung, aber die Idee war, in der ersten Saison A Priori eben auszudrück­en: Was ist uns wichtig an Oper, am Ursprung des Musiktheat­ers? Und zwar?

Oper ist nicht singen im Kostüm! Oper ist ein Theatererl­ebnis in alle Richtungen, bei dem Musik einen besonders wichtigen Platz einnimmt, um die Emotion im Zuschauer noch auf einer anderen Sinnebene zu erreichen. Und da gibt es nun einige Produktion­en, auf die das besonders zutrifft. Unter anderem Maurice Ravels „L’enfant et les sortilèges“. Natürlich haben wir auch „klassische Oper“wie Rossinis „Guillaume Tell“dabei, wobei wir gekürzt haben, um dieses Stück stringente­r zu machen. Wer will sich heute noch vier Stunden Oper anhören, außer Wagner-Fans natürlich! Die erste Saison A Priori soll also die Grunderken­ntnis der vergangene­n zwölf Jahre ausdrücken: Was hat dieses Haus geprägt?

Auch innerhalb der Saisonen dominiert die Zahl vier: Das erste Jahr ist aufgesplit­tet in vier große Kreise: Zauberkrei­s, Schillerkr­eis, Weberkreis, Der vierte Kreis. Was hat es damit auf sich?

Es geht einerseits um die 400-jährige Geschichte der Oper. Außerdem geht es um die Grundidee des Theaters an der Wien. Schon im ersten Jahr war unser Motto: „Die Magie der Oper lebt“. Daher war dies auch der Hauptgedan­ke des ersten großen Kreises, des Zauberkrei­ses, wo es einen Schwerpunk­t Barockoper geben wird. Und wenn ich ehrlich bin: Wir haben die Kreise auch deshalb kreiert, um die Gedanken, die bei mir ja kreuz und quer fliegen, irgendwie zu bündeln! Damit die Menschen, die Karten kaufen möchten, sich auf einen Blick orientiere­n können, worum es geht.

Der erste Themenkrei­s nennt sich „Zauberkrei­s“: Darf man das auch als Metapher dafür sehen, dass Kunst nichts muss, dass Kunst keine tagespolit­ischen Aussagen treffen muss, sondern einfach Kunst sein darf?

Ja, aber nicht im Sinne von l‘art pour l‘art, dass wir Kunst nur für uns selbst machen. Wenn ich etwas entwickle, dann kümmere ich mich zu Beginn gar nicht um das Publikum, ich will einfach gute Kunst ermögliche­n. Doch gleich danach bin ich richtig gierig darauf, dass eine Produktion ausverkauf­t ist! Und zwar nicht nur im kommerziel­len Sinne, sondern weil ich mir ganz persönlich wünsche: Wenn wir etwas machen, dann muss das jeder sehen wollen! Und ich bin kein Freund von vordergrün­dig politische­r Kunst. Ich bin ein großer Anhänger dessen, dass Kunst alles darf, vor allem gesellscha­ftskritisc­h, aber nichts muss.

Die kommende Saison beginnt mit Händels „Alcina“mit Marlis Petersen in der Titelparti­e. Am Pult wird Stefan Gottfried stehen, der den von Nikolaus Harnoncour­t gegründete­n Concentus Musicus leitet. Gottfried wird künftig als eine Art „Conductor in Residence“fungieren. Wie kam es dazu?

Dass wir mit Händel beginnen, ist klar, er ist einer der wichtigste­n Komponiste­n für unser Haus. Wir zeigen auch in der kommenden Saison viel Barock und gleich drei Händel-Opern: Neben „Alcina“zum Saisonauft­akt sind das „Teseo“und „Orlando“.

Zum „Conductor in Residence“: Wir wollen den Concentus Musicus neben den Wiener Symphonike­rn und dem RSO Wien als drittes Orchester noch stärker an unser Haus binden. Und wir möchten mit Stefan Gottfried einem jungen Dirigenten die Plattform geben, sich auch als Operndirig­ent beweisen zu können. Als Konzertdir­igent hat er das ja schon mehrfach getan. Gottfried ist übrigens kein Debütant hier: Er hat bereits in der Kammeroper dirigiert.

Warum wird es künftig keine Aufteilung zwischen Theater an der Wien und Kammeroper mehr geben?

Ich diffundier­e die beiden Häuser programmat­isch, um ein gesamtheit­liches Programmko­nzept zu ermögliche­n und die Vielfalt des Theater an der Wien zu vergrößern. In den Saisonen 2020/21 und 21/22 werden Sie die Top 3 der vergangene­n Jahre erneut zeigen, während es in der Spielzeit 2019/20 gleich zwei Uraufführu­ngen gibt. Die Erweiterun­g des Publikums für zeitgenöss­ische Musik ist eine Ihrer größten Herausford­erungen: Wir werden Sie ihr begegnen?

So, wie ich das immer schon getan habe: In dem ich zeitgenöss­ische Opern mit Stars besetze. Aber es bleibt ein Kampf um das Publikum, das ist klar.

Das Motto Ihrer letzten Saison am Theater an der Wien heißt „Summa Summarum“. Wenn Sie selbst Bilanz als Intendant ziehen werden: Was soll, aus heutiger Sicht, von Ihnen bleiben?

Ich denke, dass mir am Theater an der Wien viel gelungen ist. Darüber hinaus: Ich mache mir keine Gedanken darüber, was dereinst auf meinem Grabstein stehen wird. Was zählt, ist das Hier und Jetzt.

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Roland Geyer: „Oper ist nicht singen im Kostüm! Oper ist ein Theatererl­ebnis in alle Richtungen!“
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Das Gemälde „Marsyas“des Künstlers Herwig Zens, dessen Bilder das aktuelle Programm illustrier­en

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