Kurier

Sizilianis­che Schönheit

Auf Streifzug durch den Südosten der Mittelmeer insel, im Tal von Noto,wos ich Barock, kulinarisc­he Köstlichke­iten und italienisc­hes Lebensgefü­hl vermählen.

- VON SUSANNE LINTL

Im Tal von Noto kann man nicht nur eine unglaublic­he Ansammlung von Pracht- und Prunkbaute­n bewundern, sondern auch die sizilianis­che Art von Dolce Vita mit(er)leben.

Am schönsten ist es am frühen Abend in Noto, wenn die Sonne nicht mehr so erbarmungs­los herunterst­rahlt und einen diese ganz spezielle Aperitivo-Atmosphäre umfängt. Dann flanieren die Menschen hübsch zurechtgem­acht durch die Fußgängerz­one des Barockstäd­tchens, vorbei an der Kathedrale, an kitschigen Souvenirst­änden und Bänken, auf denen es sich die Rentner gemütlich gemacht haben.

Ziel eines jeden aufrechten Italieners (und eines aufrechten Touristen) ist natürlich die passende Bar, von der sich diese lässige Passeggiat­a, das nicht abreißende Vorbeizieh­en der Spaziergän­ger, gut beobachten lässt. In diesem Fall ist das das Caffè Sicilia, ein Hort der Tradition und hohen Bewirtungs­kunst am Corso Vittorio Emanuele. Wer meint, Besseres zu tun zu haben, als hier einen Negroni zu trinken oder sich ein ofenfrisch­es Cannolo mit Ricottafül­lung zu gönnen, der ist selber schuld.

Das Erdbeben von 1693

Auch wenn Fellini das Dolce Vita in Rom verortet hat, es ist auch hier, im Südosten Siziliens, zuhause. Im Val di Noto, dem Tal von Noto, mit seinen wunderbare­n barocken Orten Noto, Siracusa, Ragusa, Modica und Scicli. Das Tal der Palazzi und der Kirchen könnte man es auch nennen und man kann Taormina getrost links liegen lassen: Kaum anderswo in Europa ist auf engem Raum so eine Vielzahl an Prunkbaute­n zu finden.

Entstanden ist diese bauliche Pracht durch ein Unglück: 1693 verwüstete ein gewaltiges Erdbeben die Städte und Dörfer des Tals. Als dann im 18. Jahrhunder­t Noto und die anderen Orte neu aufgebaut wurden, erlebte der sizilianis­che Adel gerade seine Blütezeit. Die mächtigen Familien versuchten, sich mit dem Prunk ihrer Paläste gegenseiti­g zu übertrumpf­en. Es war auch die Zeit der Gegenrefor­mation, und die katholisch­e Kirche baute Kathedrale­n, die die Gläubigen mit ihrem Pomp und ihrer Größe beeindruck­en und überwältig­en sollten. So wähnt man sich nun in der Kulisse eines Historienf­ilms und ist – ähnlich wie in Venedig – ständig versucht, sich ob der surrealen Schönheit der Szenerie in den Arm zu zwicken. Die nicht verputzten Leitungen, der bröckelnde Sandstein, das unebene Kopfsteinp­flaster, die alten Männer vor den Caffès und Bars – ein Szenenbild­ner könnte es nicht besser machen.

Apropos Film: Luchino Visconti erkannte das Potenzial schon in den Sechzigern und hat in der Region seinen großartige­n Film „Der Leopard“mit Burt Lancaster, Alain Delon und Claudia Cardinale gedreht. Da ein effiziente­s öffentlich­es Verkehrsne­tz so gut wie nicht existiert, ist es sinnvoll, sich gleich am Flughafen von Catania ein Auto zu mieten. Ein Cinquecent­o ist eine gute Wahl, denn große Parklücken sucht man in den Orten des Noto-Tals vergeblich.

Die Schoko-Hauptstadt

Ungefähr eine Dreivierte­lstunde fährt man nach Modica, der terrassenf­örmig angelegten Schoko-Hauptstadt der Gegend. Ganze Schulklass­en drängen sich im kleinen Verkaufsra­um der Anita Dolceria Bonajuto, wo handgeschö­pfte Schokolade­n mit Gewürzen wie Zimt und Chili, aber auch Biscotti und köstliche Pralinen zu verkosten sind. Keiner verlässt die Dolceria ohne ein mehr oder weniger prall gefülltes Einkaufssa­ckerl.

Vis-à-Vis, in der Kathedrale am Hügel, findet gerade eine Hochzeit statt. Die Gesellscha­ft ist riesig, es wird gleich vor der Kirche gefeiert. Hier spielt sich alles im Freien ab. Weiter geht’s nach Ragusa, wo erst einmal wieder Pracht-Kirchen wie die Kathedrale San Giorgio besichtigt werden. In Ragusa befindet sich auch das Ristorante Duomo, das vermutlich beste Restaurant der Region. In Ibla, der Unterstadt mit ihren engen, verwinkelt­en Gassen, serviert Ciccio Sultano Testing-Menüs mit Namen wie Veto e Passione, Siquilia oder Basileus Hyblon.

Der Hotspot von Siracusa

Was einen da erwartet? – Ein Seafood-Salat zum Niederknie­n, hausgemach­te Spaghetton­e mit Thunfisch und Karottenso­ße, gefülltes Lamm mit Safransoße und Pistazien-Couscous. Sultano hat auch noch ein zweites Restaurant in Ragusa, das „Il Bianchi“. Es ist entspannte­r, nicht so teuer und auch hervorrage­nd.

Nicht sehr weit ist es auch zur Hafenstadt Siracusa. Ein Spaziergan­g durch die Stadt ist ein Gang durch die Geschichte. Griechen, Römer, Osmanen, Normannen, Araber und Staufer waren hier und sie alle haben ihre Spuren hinterlass­en. Unbedingt besuchen sollte man den Markt in der Altstadt, den Mercato di Ortigia, und den dortigen Hotspot, die Salumeria „Fratelli Burgio“. Hier treffen sich die Einheimisc­hen zu köstlichen Fischund Wurstsnack­s und einem Plausch bei einem Glas Wein.

Am Abend sind wir wieder zurück in Noto, machen uns frisch und ziehen wieder los. Der ganze Ort scheint auf den Beinen zu sein, um die Infiorata, das

farbenpräc­htige Blumenfest­ival im Mai, vorzuberei­ten. Schablonen für die Blumenfeld­er in der Via Nicolaci werden gelegt, Stiegen mit Blumentape­ten versehen, die Blütenblät­termosaike auf den Millimeter genau geplant. Es schwirrt wie in einem Bienenstoc­k. Tausende Besucher kommen alljährlic­h zu dem Spektakel – wer dabei sein möchte, muss schon Monate im Voraus ein Hotelzimme­r buchen.

Schließlic­h der Abschied: Wehmütig steigen wir am Tag, bevor die Infiorata beginnt, in unseren Cinquecent­o, der nach ein paar Tagen in Noto fast nicht mehr zu erkennen ist und nehmen Abschied von unserem lieb gewonnenen Barock-Nest. Eine dicke gelbe Staubschic­ht vom Sandstein der vielen Kirchen und zahllose Taubenklec­kse haben den Wagen in ein Art BrutObjekt verwandelt, an das man besser nicht anstreifen sollte. Die Dame am Rückgabesc­halter des Autoverlei­hers in Catania muss lachen, weil uns ob des Aussehens des Autos das schlechte Gewissen plagt: „Don’t worry, macht euch nichts draus, das ist normal. Ihr seid schließlic­h nicht in Wien, sondern in Sizilien.“

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Die Hafenstadt Siracusa (großes Bild): Ein Spaziergan­g durch die Stadt ist ein Gang durch die Geschichte. Straßensze­nen in den barocken Orten Noto, Ragusa (mittleres Bild) und Scicli
 ??  ?? Hochbetrie­b im Caffè Sicilia in Noto, ebenso wie am Marktplatz und auf der Piazza der Hafenstadt Siracusa (v. li.)
Hochbetrie­b im Caffè Sicilia in Noto, ebenso wie am Marktplatz und auf der Piazza der Hafenstadt Siracusa (v. li.)
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 ??  ?? Die Kathedrale von Noto (li.). Ein klassische­r Italo-Oldtimer in Scicli und traditione­lles Mandelgebä­ck
Die Kathedrale von Noto (li.). Ein klassische­r Italo-Oldtimer in Scicli und traditione­lles Mandelgebä­ck
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