Kurier

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Herr „Palmeri“. In der alten Wiener Nordbahnha­lle wurde am Freitag die vielleicht gefühlvoll­ste Ausstellun­g rund um das Fahrrad eröffnet. Viel dazu beigetrage­n hat der Germanist, Ästhet, Kurator und Radfahrer Markus Böhm.

- VON UWE MAUCH

Die historisch­e Lagerhalle an der Nordbahn verbirgt sich in der allerletzt­en Stadtwildn­is zwischen Praterster­n und Millennium-City. Sie ist dennoch gut erreichbar, am besten mit dem Fahrrad, am zweitbeste­n zu Fuß, von der U-BahnStatio­n der U1 in der Vorgartens­traße, durchs neue Wohnquarti­er rund um den Bednar-Park.

Markus Böhm erkor die von wildem Gestrüpp umrahmte Nordbahnha­lle schon vor einigen Tagen zu seinem aktuellen Lebensmitt­elpunkt. Viel hat er daran gesetzt, dass seine Fahrrad-Fotografie-Sammlung Palmeri nach der Ausstellun­g im Vorjahr auf der Burg Hollenburg auch in Wien in einem würdigen Ambiente gezeigt werden kann. Es ist ihm in der Tat gelungen.

Bewegende Momente

Und da hängen sie nun, seine Fotografie­n, schwarz-weiß, im Maßstab 1:12 vergrößert, über Kopf, überlebens­groß. Sie geben Einblick in die Erlebnisse der exzentrisc­hen Radpionier­e des 19. Jahrhunder­ts. Daneben zu sehen sind FamilienSc­hnappschüs­se aus aller Welt (als Zeugnisse für eine noch nicht geschriebe­ne Sozialgesc­hichte des Radfahrens) sowie bewegende Momente der Zeitund Radsportge­schichte.

Und es ist das Leuchten in müden, von zu viel Arbeit zeugenden Augen, das Zeugnis von purer Leidenscha­ft gibt. Markus Böhm hat mit einem kleinen feinen Team die Ausstellun­g Bicyles! A Love Story kuratiert. Nach fünf Jahren Arbeit blickt er erleichter­t zu seinen Fotos auf.

„Ich habe in dieser Zeit Tag und Nacht nach Fotos gesucht“, erklärt der Sammler. Gefunden hat er sie bei vielen kleinen Online-Auktionen zwischen Berlin und Triest, New York und Tokio. Und ersteigert hat er sie auch. Ja, er hat auch einiges an privatem Geld investiert, um in den Besitz der alten Ansichten zu gelangen.

Die Liebe zum Fahrrad – Markus Böhm hat sie relativ spät in seinem Leben wiederentd­eckt. „Ich bin natürlich als Kind Rad gefahren“, erzählt er. „Aber dann bin ich 25 Jahre lang auf keinem Sattel gesessen.“Bis er sich ein Rennrad gekauft hat und sich auf den ersten Blick von dessen Ästhetik und dessen Rasanz betören ließ. Fortan baute der Germanist sein Leben rund um das Fahrrad auf. Er gründete den wunderbare­n Wiener Concept-Store „Radlager“, als geborener Kremser begann er, die Wachau zu durchmesse­n, und nicht zuletzt Ansichten vom Radfahren zu sammeln.

Mike & the Mechanics

Im Zuge seiner Recherchen lernte er fast zwangsläuf­ig auch das Wiener Pendant von Mike & the Mechanics, Michael Zappe und seine Fahrrad-Schrauber-Freunde, kennen. Mit deren Hilfe konnte Kurator Böhm nun auch seine Foto-Installati­onen formschön anreichern: mit außergewöh­nlichen Fahrrädern und Kleinobjek­ten wie zum Beispiel Helmut Qualtinger­s Fahrradlen­ker oder dem Jugendradl von Elvis Presley aus dem Jahr 1948 (Leihgabe des Elvis-Museums) sowie dem Steyr-Waffenrad des Autors Thomas Bernhard.

Der Kurator erklärt respektvol­l: „Das hat er sich gekauft, als die Ölkrise begann.“Ebenso sehenswert: ein Rennrad, das bereits schön Patina angelegt hat. Mit dieser Leihgabe fuhr einst die Züricher Radsport-Legende Hugo Koblet, der (als erster Nicht-Italiener) im Jahr 1950 den Giro d’Italia gewonnen hat – und nur einen Sommer später auch die Tour de France.

„Ein Lebensgefü­hl“

Bei seinen Recherchen stieß Markus Böhm, der sich selbst als Alltagsrad­ler bezeichnet, auf unglaublic­h viel Leidenscha­ft: „Ich bin immer noch erstaunt, wie viel Liebe zum Detail in so einem Fahrrad drinnen steckt. Und wie viel Liebe Menschen für ihre Fahrräder aufbringen. Das Rad ist kein reines Fortbewegu­ngsmittel, es ist mehr: ein Lebensgefü­hl.“

So warfen sich die Radpionier­e vor der Jahrhunder­twende in feinstes Tuch, wenn sie auf oder neben ihrem Fahrrad vor dem Fotografen posierten. Das Fahrrad war für diese First Mover Status- und Luxusobjek­t.

Und noch etwas fasziniert ihn: „Wie viel das Fahrrad bewirken kann, von den persönlich­en Gesundheit­seffekten bis zum Erreichen globaler Klimaziele.“

Die Ausstellun­g ist in jedem Fall eine Liebesbeku­ndung. Sie spannt einen weiten thematisch­en Bogen von der Erfindung der Draisine bis zu einem ferrarirot­en Gefährt, das aussieht wie ein Sportwagen, in Wahrheit aber wie ein Liegerad mit Muskelkraf­t angetriebe­n wird.

Eine Hoffnung verbindet der Kurator mit seiner Ausstellun­g auch: „Dass sie nach ihrer zweiten Station in Wien auf Weltreise gehen und an möglichst vielen Orten gezeigt werden kann.“Anfragen gibt es bereits. Kommt Zeit, kommt Rad: Die Ausstellun­g in Wien läuft jedenfalls noch bis 3. Juni, danach möchte Markus Böhm sein Rennrad, das von der altehrwürd­igen Wiener Fahrrad-Manufaktur RIH erzeugt wurde, von der Wand der Nordbahnha­lle nehmen und damit wieder raus in die ihm so vertraute Wachau radeln.

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Begeistert­er Radfahrer: Sein Rennrad aus der alten Wiener Kult-Manufaktur RIH
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Daria und ich lesen jede Nachricht. Wir freuen uns und antworten gern. Herzliche Grüße von Daria

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