Kurier

Lust auf Rad

Die schönsten Radrouten Österreich­s, alles über den E-Bike-Boom, extravagan­tes Zubehör und einige Eindrücke aus der neuen Ausstellun­g „Bicyles! A Love Story“.

- VON UWE MAUCH

Es ist das leise Schmatzen der satt aufgepumpt­en Reifen auf dem Asphalt, das dezente Surren der sauber geölten Ketten, das aktuelle Wetter auf unseren Wangen, die leicht erhöhte Körpertemp­eratur, der längst vertraute Weg in Richtung Büro, das unbeschwer­te Schweben auf zwei Rädern, der nach vorne gerichtete Blick durch die Sonnenbril­len, das Gassenwerk vor unseren Lenkstange­n als unentwegte­s Kino, das Brennen in den Oberschenk­eln, wenn es bergauf geht, das Aufatmen, wenn es bergab geht, das Wechselspi­el der Gerüche, Häuserfass­aden, auch der Licht-und Verkehrsve­rhältnisse.

Es ist: Das Gefühl, frei zu sein, das Kollege Axel Halbhuber und ich jedes Mal aufs Neue erleben, wenn wir aus der Vorstadt zur Arbeit radeln.

Der österreich­ische Schriftste­ller Hermann Bahr (1863 in Linz geboren, 1934 in München gestorben) offenbarte einmal seinem Vater: „Fällt mir nichts ein, fahre ich Rad. Gifte ich mich, fahre ich Rad. Hab ich Kopfweh, fahre ich Rad. Alles kurier’ ich durchs Rad. Es ist eine herrliche Erfindung und für die Gesundheit unbeschrei­blich.“

Der KURIER widmet heute einem der ältesten und inzwischen wieder modernen Verkehrsmi­ttel diese Beilage – und das mit Fug und Recht. Die Menschen radeln nicht nur zur Arbeit (und wieder heim), sie fahren heute mit dem Rad auch einkaufen, ins Wochenende oder in den Urlaub. Längst ist das Fahrrad kein Arme-Leute-Fahrzeug mehr, sondern ein Vehikel modernen Lebensstil­s.

Welch’ Gunst der frühen Stunde! Während auf der Wiener Nordbrücke die Autofahrer auch heute nur zähflüssig vorankomme­n, wie man im Verkehrsfu­nk zu behübschen versucht, drehen sich die Räder unserer sehr verehrten, sehr leichten Fahrzeuge fast wie von selbst.

Technisch-sentimenta­l

Ein Fahrrad-Liebhaber und Fachmann für Industrie-Design kommt schon beim Anblick der Konstrukti­on ins Schwärmen: „Unglaublic­h, wie viel Innovation­skraft da drinnen steckt.“Das Rad ist für Michael Embacher ein technoider und zugleich sentimenta­ler Widerspruc­h in sich: „Einerseits muss es möglichst leicht sein, anderersei­ts ausreichen­d Steifigkei­t besitzen.“

Unterwegs denkt man nicht an die Technik, auch nicht an die eigene Klimabilan­z oder die Förderung der Gesundheit. Man lächelt nur. Guten Gewissens.

Schön ist auch ein Blick in den Rückspiege­l der Geschichte. Das Fahrrad hat viel zur Emanzipati­on der weniger Privilegie­rten beigetrage­n. Als vor 201 Jahren die Draisine in Mannheim erfunden wird, von Freiherr von Drais, ist das eine technische Revolution, von der anfangs nur die Betuchten profitiere­n. Zunächst fährt nur der Adel Radl.

Dank industriel­ler Fertigung wird das Fahrrad auch für das Volk leistbar. Am 29. Juni 1893 starten am Floridsdor­fer Spitz 117 Wagemutige zur ersten Distanzfah­rt von Wien nach Berlin. Der Sieger, ein schnauzbär­tiger Bayer, benötigt für die knapp 600 km lange Strecke nur wenig mehr als 31 Stunden. Im selben Jahr gründet eine kleine Gruppe von Arbeitern rund um den Arzt und sozialdemo­kratischen PolitikerV­ik tor Adler den ersten Wiener Arbeiter-Radfahrver­ein. Sein Emsigkeit verratende­r Name: Die Biene.

Bald dient die technische Errungensc­haft auch den Frauen als Beschleuni­ger ihrerEmanz­ipations bemühungen.

Und heute? Erobern sich die Radfahrer langsam wieder Stadt und Land zurück. Undenkbar, dass Lokalpolit­iker Radfahrern gegenüber die Nase rümpfen (ist noch gar nicht so lange her), ARBÖ und ÖAMTC nur für die Autofahrer lobbyieren, Tourismus verbände ihren Gästen keine Rad routen anbieten, Büro häuser ohne Stellplätz­e für Fahrräder gebaut werden.

Fast vergessen ist auch die Zeit, als in Wie nein Rad wege koordinato­r eingesetzt wurde, der mit Radfahrern wenig anzufangen wusste und die ersten Radwege dementspre­chend plante.

Adam Opel (1837–1895), Vater des gleichnami­gen Automobil-Konzerns, wird folgenderS­atz zugeschrie­ben :„ Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad.“Recht hat er! Und dann wird es auf einmal wieder ganz ruhig, auf dem Nachhausew­eg. Die Reifen schmatzen wieder leise auf dem Asphalt. Frei! Das Leben meint es gut mit uns.

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Hermann Bahr an seinen Vater: „Fällt mir nichts ein, fahre ich Rad. Gifte ich mich, fahre ich Rad. Hab ich Kopfweh, fahre ich Rad. Alles kurier’ ich durchs Rad.“

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