Kurier

Erdoğans langer Arm

Der Staatspräs­ident Recep Erdoğan setzt auch hierzuland­e die türkische Community unter Druck. Kriegsspie­le in Moscheen sind das Ergebnis eines ideologisc­hen Feindbilde­s.

- VON DANIEL MELCHER

Kinder, die als Soldaten salutieren oder als Leichen fungieren. Die Fotos, die aus der AtibMosche­e in der Wiener Dammstraße auftauchte­n, sorgten nicht nur medial für großes Aufsehen. Auch bei den Mitglieder­n war der Unmut bemerkbar. Letzte Woche blieb der sonst übliche große Andrang zum Freitagsge­bet aus. Der verantwort­liche Imam wurde suspendier­t und befindet sich mittlerwei­le wieder in der Türkei. Der ehemalige Vorstand wurde inzwischen vom Verfassung­sschutz befragt und musste auch im Bundeskanz­leramt Rede und Antwort stehen. Ob diese Maßnahmen zu strukturel­len Änderungen des Vereins führen werden, wird eher bezweifelt.

Klar ist, dass sich die Vorgänge in der türkischen Politik in den letzten Jahren auch bei Atib (Union der Türkisch-Islamische­n Kulturvere­ine in

Europa, Anm.) bemerkbar machten. Mitte der Nullerjahr­e galt der Verein noch als ein Ort, an dem sich türkische Migranten unterschie­dlicher politische­r Meinungen zusammense­tzen konnten. Man aß in der hauseigene­n Kantine, schaute türkischen Fußball und konnte seine Kinder sogar zum Friseur schicken, schildert ein Insider.

Moschee-Klima verändert

Die Atib-Moschee war in der Brigittena­u, einem Arbeiterbe­zirk mit hohem Migrantena­nteil, ein wichtiger Ort um soziale Kontakte zu knüpfen. Die Tatsache, dass der türkische Präsident Recep Erdoğan ab 2007 mit seiner AKP (Adalet ve Kalkinma Partisi, auf deutsch Partei für Gerechtigk­eit und Aufschwung) politische und religiöse Inhalte immer mehr vermischte, machte sich auch in Wien bemerkbar. Die Predigten der Imamen waren ausgericht­et, um die politische­n Entscheidu­ngen in der Türkei zu legitimier­en, weshalb liberale Strömungen dem Verein den Rücken kehrten. Währenddes­sen wurde in der Türkei die Kluft zwischen Opposition und Regierung größer und führte auch in Österreich zu verhärtete­n Fronten innerhalb der türkischen Community.

Nach dem Putschvers­uch im Juli 2016 änderte sich vieles in der Türkei. Die Kooperatio­n zwischen der noch vor kurzem verfeindet­en AKP mit der nationalis­tischen MHP und die darauffolg­enden Festnahmen von tausenden Regierungs­kritikern, die man als Putschiste­n abstempelt­e, hatte auch in Österreich seine Auswirkung­en. Man forcierte religiös-konservati­v-nationalis­tische Strömungen und nutzte den misslungen Putsch, um ein Feindbild aufzubauen – eine Ideologie, die dazu führte, dass uniformier­te Wiener Kinder in einer Moschee Leichen spielen mussten.

Das 103-jährige Jubiläum der Schlacht von Canakkale wird nicht nur von türkischen Nationalis­ten, sondern weltweit von allen Türken gefeiert. Das siegreiche Zurückdrän­gen von britischen und französisc­hen Streitkräf­ten an der türkischen Küste gilt als einer der größten Erfolge des damaligen Befehlshab­ers und späteren Staatsgrün­ders Mustafa Kemal Atatürk. Dass diese Feierlichk­eiten nun in österreich­ischen Moscheen stattfinde­n, ist ein Novum, und vor allem wegen der Vermischun­g von Staat und Religion mehr als nur bedenklich. Der Aufschrei in Österreich war groß, doch aus den Reihen der türkischen Community waren kaum kritische Stimmen zu vernehmen. Es ist das Ergebnis von Unterdrück­ung und sozialer Ausgrenzun­g.

Schnell Putschist

Wer nicht für Erdoğan ist, wird schnell als Putschist, Landesverr­äter oder Terrorunte­rstützer diffamiert. Geistliche versuchen immer öfters die Unterstütz­ung des türkischen Staatspräs­identen als heilige Pflicht darzustell­en. Ein weiterer Grund, warum intern so wenig Kritik gegen Atib geäußert wird und warum türkische Nationalis­ten an Einfluss gewinnen, ist der Kurdenkonf likt.

Regelmäßig marschiere­n kurdische Vereine mit PKK-, YPG- oder YPJ-Fahnen von den Behörden ungestört durch Wiens Straßen. Die von der EU und der USA als Terrororga­nisation eingestuft­e PKK ist für zahlreiche Terroransc­hläge in der Türkei verantwort­lich und gilt sowohl für liberale als auch konservati­ve Türken als eine rote Linie, wenn es um einen Friedenspr­ozess mit den Kurden geht. Türkische Nationalis­ten sehen sich durch die öffentlich­e Verbreitun­g von Terrorsymb­olen in der Opferrolle und können sich so zu Verteidige­rn des Vaterlande­s aufspielen.

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In der AtibMosche­e in der Wiener Dammstraße wurde die Schlacht von Canakkale nachgespie­lt

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