Kurier

1. Mai: Premiere für Ludwig

120.000 verabschie­deten sich auf dem Wiener Rathauspla­tz von Bürgermeis­ter Häupl.

- GILBERT NOVY

„Ich bin bei euch. Und ihr seid in meinem Herzen“– mit fast biblischem Pathos verabschie­dete sich Wiens Langzeit-Bürgermeis­ter Michael Häupl gestern am Rathauspla­tz von seinen Genossen.

Nach knapp 24 Jahren im Amt war es Häupls letzter Auftritt bei der traditione­llen 1.-Mai-Kundgebung der SPÖ in der Wiener Innenstadt.

120.000 Menschen (laut SPÖ ein neuer Rekord) waren gekommen, um noch einmal den am 24. Mai abtretende­n Stadtchef reden zu hören. Wegen des großen Andrangs aus den Bezirken starteten die Ansprachen der SPÖ-Granden später als geplant.

In ihrem Tribut an den scheidende­n Bürgermeis­ter und im Kampf gegen den neuen türkis-blauen Außenfeind schienen die Roten zumindest an diesem Tag wieder zu alter Stärke zurückgefu­nden zu haben. Dabei ist es gerade einmal zwei Jahre her, als der damalige Bundeskanz­ler Werner Faymann von wütenden Genossen auf dem Rathauspla­tz ausgepfiff­en wurde.

Ob Zufall oder geschickte Inszenieru­ng – just als Häupl zu seinen Abschiedsw­orten ansetzte, waren von der Ferne die Mittagsglo­cken zu hören. Und der stürmische Jubel seiner Fans vor der Bühne. „Danke Michael Häupl“, war auf Transparen­ten zu lesen. „Du bist eine Legende, und zwar schon zu Lebzeiten“, streute Parteichef Christian Kern Häupl Rosen. Dieser zeigte sich sichtlich gerührt: „Ich habe mir gedacht, ich stehe jetzt knapp vor der sozialdemo­kratischen Seligsprec­hung. Aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Lob man im Leben ertragen kann.“

„Kalter Wind“

Die polternde Abrechnung mit der neuen türkis-blauen Regierung überließ er lieber seinen Vorrednern wie dem designiert­en Bürgermeis­ter Michael Ludwig und Kern (siehe rechts). Nur so viel: „Dem kalten neuen Wind im Bun- deskanzler­amt, der Menschen gegeneinan­der ausspielt, stellen wir den Zusammenha­lt und das Miteinande­r entgegen.“Auch nach seinem Abgang werde er sich weiter „Tag und Nacht“für die sozialdemo­kratischen Prinzipien einsetzen, versprach Häupl seinen Anhängern.

Am Schluss gab es von Nachfolger Ludwig einen Strauß roter Nelken. Vielen Genossen reichte das nicht. Sie forderten lautstark eine Zugabe von Häupl. Er enttäuscht­e sie: „Ich bin ja kein Kabarettis­t und ganz sicher kein Popstar.“

Davon ist wohl auch Michael Ludwig noch ein Stückchen entfernt. Merklich nervös startete er in seine erste Rede als neuer Parteichef auf dem Rathauspla­tz. Erst als es gegen Türkis-Blau ging, kam auch er langsam in Fahrt: „Die haben es auf Wien abgesehen. Lasst unser Wien in Ruhe. Wir werden uns wehren, wenn es um die Interessen der Wiener Bevölkerun­g geht.“Jubel vor der Bühne, höf licher Applaus von den roten Funktionär­en auf der Bühne – darunter auch diejenigen, die Ludwigs Regierungs­team nicht mehr angehören werden, wie etwa Sandra Frauenberg­er. Erst als der kommende Stadtchef auf seinen Vorgänger Häupl zu sprechen kam, brach tosender Beifall aus.

Stimmen von der Basis

„Die Rede war nichts Besonderes, Ludwig ist halt nicht Häupl“, lautete das knappe Urteil eines Jungfunkti­onärs, der anonym bleiben wollte – und sich offenbar wie so mancher an die historisch­e Wachablöse in der Wiener SPÖ noch gewöhnen muss. Für Fabian Zickler von der SJ Favoriten sei das kein Wunder: „400.000 Wiener sind in der Ära Häupl geboren. Sie haben nie einen anderen Bürgermeis­ter gekannt. Schade, dass er geht, aber irgendwann kommt für jeden die Zeit.“

Zickler hätte sich lieber Finanzstad­trätin Renate Brauner oder eine andere Frau als neuen Bürgermeis-

ter gewünscht. An Ludwig stört ihn, dass er sich zu sehr an den Forderunge­n der Boulevardm­edien orientiere. Er meint damit vor allem das Alkoholver­bot am Bahnhof Praterster­n, das der designiert­e Bürgermeis­ter kürzlich verkündete. Daran stößt sich auch die rote Studenteno­rganisatio­n VSStÖ, die am Dienstag mit Transparen­ten gegen das Verbot mobil machte.

„Besser als Schieder“

„Wir werden sehen, ob Ludwig das Zeug dazu hat, wie Häupl gegen Schwarz-Blau aufzutrete­n. Aber auch Kern muss ja erst in seiner neuen Rolle ankommen“, sagte SPÖ-Wähler Wolfgang Eichinger. „Ludwig ist aber auf jeden Fall besser als Andreas Schieder.“Der SPKlubchef war im Duell um die Häupl-Nachfolge dem Wohnbausta­dtrat unterlegen.

Als Ausländeri­n nicht wählen darf Antonella Pirri, eine SPÖ-Fahne hielt sie während der Kundgebung dennoch in der Hand: „Ludwigs Rede war weniger schlimm als befürchtet. Es war nicht leicht für ihn: Nach einem Michael Häupl hat es jeder schwer“, sagt sie. „Es ist schon ein wenig schade, dass er nicht mehr Bürgermeis­ter ist.“

 ??  ?? Riesenandr­ang: Rund 120.000 Menschen verabschie­deten sich von Langzeit-Bürgermeis­ter Michael Häupl auf dem Wiener Rathauspla­tz
Riesenandr­ang: Rund 120.000 Menschen verabschie­deten sich von Langzeit-Bürgermeis­ter Michael Häupl auf dem Wiener Rathauspla­tz
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 ??  ?? Viel rote Kritik an Vorhaben von Türkis-Blau: Vom 12-Stundentag bis zur Kassenrefo­rm
Viel rote Kritik an Vorhaben von Türkis-Blau: Vom 12-Stundentag bis zur Kassenrefo­rm
 ??  ?? Drei gegen Türkis-Blau: SP-Chef Christian Kern, scheidende­r Michael Häupl, Premiere für Michael Ludwig
Drei gegen Türkis-Blau: SP-Chef Christian Kern, scheidende­r Michael Häupl, Premiere für Michael Ludwig
 ??  ?? Wolfgang Eichinger: „Häupl hatte einen guten Schmäh“
Wolfgang Eichinger: „Häupl hatte einen guten Schmäh“
 ??  ?? Antonella Pirri: „Nach Michael Häupl hat es jeder schwer“
Antonella Pirri: „Nach Michael Häupl hat es jeder schwer“
 ??  ?? Fabian Zickler hätte lieber Renate Brauner als Bürgermeis­terin
Fabian Zickler hätte lieber Renate Brauner als Bürgermeis­terin

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