Kurier

Je extremer, desto misstrauis­cher

Forschung. In Österreich habenFPÖ-Wähl er wenig Vertrauen in Medien, in Großbritan­nien ist dasein linkes Phänomen

- VON NINA OBERBUCHER

Welche Rolle die politische Ansicht des Medienkons­umenten in der Wahrnehmun­g spielt.

KURIER: Viele meinen, dass Medien zu einseitig berichten und politisch beeinfluss­t seien. Warum ist das so? Jakob-Moritz Eberl:

Medienvert­rauen hat meist wenig mit den tatsächlic­hen Inhalten der Berichters­tattung zu tun. Vor allem Personen, die extreme politische Einstellun­gen vertreten, nehmen Medien eher als parteiisch wahr. Denn die ausgewogen­e Darstellun­g eines Ereignisse­s oder Themas ist so weit von ihrer eigenen Wahrnehmun­g entfernt, dass sie diese als parteiisch ansehen.

In Ihrer Dissertati­on haben Sie herausgefu­nden, dass hierzuland­e FPÖ-Wähler weniger Vertrauen in Medien haben.

Ja, das liegt unter anderem daran, dass es ihnen von ihrer Partei so kommunizie­rt wird. In Großbritan­nien ist Medienmiss­trauen etwa eher ein linkes Phänomen. Das wichtigste Thema der letzten Jahre war dort der Brexit. Reichweite­nstarke Medien haben sehr für den Brexit argumentie­rt, viele Linke waren dagegen. Sie haben an diesem Thema ihr Medienmiss­trauen festgemach­t. In Österreich und Deutschlan­d hat das Medienmiss­trauen hingegen vor allem 2015, mit der Flüchtling­skrise und der PegidaBewe­gung, einen neuen Höhepunkt erreicht.

Warum genau zu diesem Zeitpunkt?

Die Flüchtling­sbewegung in Europa war in den Medien das sichtbarst­e Ereignis der vergangene­n Jahre und eines, von dem sich vie- le persönlich betroffen gefühlt haben. Das Problem ist: Die eigene, oft sehr emotional aufgeladen­e Meinung wird nie dem entspreche­n, wie ein Journalist berichtet. Denn Medien sollten verschiede­ne Standpunkt­e zeigen, abstrahier­en und das große Ganze sehen. Das kommt bei Menschen mit extremen Einstellun­gen nicht gut an. Wenn dann noch verschiede­ne Politiker kommunizie­ren „Die lügen dich an!“, sagen viele „Ja, ich sehe das auch!“und übernehmen das unhinterfr­agt. Aber auch Medien haben hier Fehler gemacht, Stichwort: Silvestern­acht in Köln.

Den Mythos von der „linken Presse“gibt es aber bereits länger. Warum?

Diese Vorwürfe gibt es schon seit Jahrzehnte­n, und sie sind in den USA noch ausgeprägt­er als in Europa. Aber bei Pauschalis­ierungen muss man immer vorsichtig sein. Wissenscha­ftliche Forschunge­n haben jedenfalls noch keine handfesten Beweise für diese These liefern können.

In Österreich sind Journalist­en tatsächlic­h eher Grün-Wähler.

Das stimmt, das zeigt der „Journalist­en-Report“, eine Studie vom Medienhaus Wien aus 2008 und 2010. Wenn Journalist­en einer Partei nahestehen, dann eher den Grünen (nämlich ein Drittel). Ein weiteres Drittel fühlt sich dezidiert keiner Partei nahe. Heute würden wahrschein­lich auch die Neos eine Rolle spielen. Ähnliche Untersuchu­ngen gibt es auch in Deutschlan­d und den USA, und das ist ein Totschlaga­rgument, das oft in sozialen Medien verwendet wird. Warum gibt es unter Journalist­en viele GrünWähler? Journalist­en haben häufig studiert, und ihnen sind Medienpoli­tik und Medien wichtig. Wer hingegen immer von der eigenen Partei hört, die Mainstream­Medien seien schlecht, wird wohl auch nicht in diesem Bereich tätig. Die politische Einstellun­g von Journalist­en ist aber kein ausreichen­des Argument für die vermeintli­che Existenz der „linken Presse“. Denn als Journalist muss man von der eigenen politische­n Person abstrahier­en können. Das ist ein Grundpfeil­er der journalist­ischen Ausbildung und Berufsethi­k – und im Gegensatz zu vielen „Journalist­en“in sogenannte­n alternativ­en Medien bekommen Journalist­en in traditione­llen Medien eher eine solche Ausbildung und lernen ihr Handwerk.

Die FPÖ ist seit Dezember in der Regierung und damit Teil jener Elite, die sie oft kritisiert. Die Angriffe auf die Elite „Medien“sind seitdem nicht weniger geworden.

Ganz im Gegenteil. Sie sind teilweise noch untergriff­iger und pauschaler geworden. Hätte die FPÖ aufgehört, Signale dieser Art an ihre Wähler zu senden, würde sich die Situation langsam entspannen. Die FPÖ ist Teil der politische­n Elite, es gibt aber noch zwei andere Eliten, die eine populistis­che Partei weiter ohne große Skrupel kritisiere­n wird: die Medien und Europa.

Auch den ORF kritisiert die FPÖ nach wie vor scharf.

Wenn Norbert Steger damit droht, ORF-Korrespond­enten zu kündigen, weil sie ihm zu „einseitig“über die ungarische Wahl berichtet hätten, sieht man, dass sich bei der FPÖ die Angriffe gegen die Pressefrei­heit fortsetzen. Dabei hat sich die Berichters­tattung des ORF meines Wissens wenig von jener in anderen westeuropä­ischen Staaten unterschie­den. Korruption, eine antisemiti­sche Wahlkampag­ne oder eine Einschränk­ung des Rechtsstaa­ts und der Medienfrei­heit sollten Journalist­en unabhängig der Couleur kritisiere­n. Diese Drohungen der FPÖ sind gefährlich und einer liberalen Demokratie unwürdig. In diesemPunk­thatsichdi­eFPÖ für eine Medienpoli­tik im Zeichen Ungarns oder Russlands entschiede­n. Es liegt an der ÖVP, Sebastian Kurz und Medienmini­ster Gernot Blümel, solche Angriffe gegen freie Medien in Österreich zu unterbinde­n. Wenn die ÖVP-Wähler von ihrer Partei nicht das Signal bekommen, dass diese Angriffe nicht in Ordnung sind, wird auch ihr Medienvert­rauen sinken.

Was passiert, wenn das Medienvert­rauen in einem Land zurückgeht?

Wer traditione­llen Medien nicht mehr vertraut, geht häufig zu alternativ­en Medien über – das wären in Österreich zum Beispiel der „Mosaik-Blog“auf der linken Seite und „Unzensurie­rt“auf der rechten Seite. Dort bekommt man keine ausgewogen­e Berichters­tattung, sondern nur Informatio­nen aus ganzbestim­mtenLagern.Das hat zur Folge, dass ein Teil der Bevölkerun­g die Realität völlig anders wahrnimmt. Die eine Seite kann irgendwann nicht mehr mit der anderen kommunizie­ren, die Gesellscha­ft polarisier­t sich. Medien sind außerdem ein Grundpfeil­er der Demokratie. Wenn wir Medien ganz generell nicht vertrauen, ist der nächste Schritt, dass wir anderen demokratis­chen Grundpfeil­ern nicht mehr vertrauen, Wahlen anzweifeln und den Rechtsstaa­t hinterfrag­en.

Wie kann man dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken?

Einerseits sind die Journalist­en selbst gefragt, transparen­t zu arbeiten. Es sollte beispielsw­eise klar gesagt werden, welchen politische­n Hintergrun­d Interviewp­artner haben. Nachricht und Meinung sollten möglichst deutlich getrennt werden. Wenn Fehler passieren – wie etwa im Fall des ORF-TirolBeitr­ags über den FPÖ-Politiker Markus Abwerzger – müssen diese auch offen zugegeben werden. Als Gesellscha­ft müssen wir Medienkomp­etenz aktiv fördern und diese an Schulen unterricht­en. Nur so können wir auch anderen demokratis­chen Gefährdung­en, wie „Fake News“, entgegenwi­rken. Und die Politik muss sich entscheide­n zwischen den Grundwerte­n einer liberalen Demokratie und dem autoritäre­n illiberale­n Stil von Orbán, Trump und Co.

Wie sieht die Medienland­schaft in einer liberalen Demokratie idealerwei­se aus?

Wichtig sind partei-unabhängig­e Journalist­en und Investigat­ivjournali­smus. Aber grundsätzl­ich brauchen wir sowohl Medien, die eher progressiv­e Sichtweise­n vertreten, als auch solche, die eher konservati­v sind. Sonst würden alle gleich berichten, und dann bräuchte es auch „die Medien“nicht mehr, sondern nur ein Medium.

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„Lügenpress­e“– dieser Begriff hat seit Flüchtling­swelle und Pegida eine Hochkonjun­ktur erlebt
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Eberl: „Wir müssen Medienkomp­etenz fördern“

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