Kurier

Sechs Gründe, warum diese Matura unfair ist

Eine Prüfung bewertet die gesamte Schullaufb­ahn – Wissenscha­ftler sehen das kritisch

- VON UTE BRÜHL UND DANIELA DAVIDOVITS

Jedes Jahr das gleiche Spiel: Kaum werden die Ergebnisse der Zentralmat­ura veröffentl­icht, hagelt es Kritik. Und wer die Ergebnisse der Mathematik-Matura an den berufsbild­enden höheren Schulen (BHS) sieht, hat allen Grund, am System zu zweifeln.

Erschütter­nd ist weniger die Tatsache, dass 17,6 Prozent sie nicht geschafft haben – die Ergebnisse sind in den AHS seit Jahren ähnlich. Zwar wurden erst 20 Prozent der Arbeiten ausgewerte­t. Erstaunlic­h ist dabei, dass 43,5 Prozent einen Vierer haben. Einser (5,7 Prozent) und Zweier (13,3 Prozent) sind hingegen die Ausnahme. Die Durchschni­ttsnote Drei erreichen dagegen gerade einmal 19,8 Prozent.

Im Vorjahr waren die Ergebnisse viel besser. Sind die Schüler dümmer geworden? „Sicher nicht“, sagt Bildungswi­ssenschaft­ler Stefan Hopmann von der Uni Wien. Er ärgert sich über die Form der Zentralmat­ura, weil Wissenscha­ftler von vornherein auf die Probleme einer punktuelle­n Prüfung aufmerksam gemacht hätten: „Dass es von Jahr zu Jahr Schwankung­en gibt, ist völlig normal – es gibt keine Möglichkei­t, eine Prüfung so zu konstruier­en, dass sie für alle gleich fair ist.“

Allerdings, so meint Andreas Vohns vom Institut für Didaktik der Mathematik an der Uni Klagenfurt: „Früher war es noch weniger fair und vergleichb­ar.“Internatio­nal gebe es verschiede­ne Ansätze, die Noten gerechter zu machen – die aber in Österreich nicht einmal diskutiert werden. Sechs Wege, wie die Matura fairer werden könnte:

– Vorjahresz­eugnisse Beispiel Deutschlan­d: „Dort werden die Leistungen der letzten beiden Schuljahre in die Maturanote einbezogen. Ist der Unterschie­d zur Zeugnisnot­e zu groß, gibt es eine weitere Prüfung“, sagt Vohns.

– Teilzentra­le Prüfung Ein Mix aus zentralen und lokalen Tests hätte Vorteile: Im differenzi­erten österreich­ischen Schulsyste­m kann mehr auf die standortsp­ezifischen Fragestell­ungen eingegange­n werden. Und das ganze Wohl und Wehe hängt nicht von einer Prüfung ab. Hopmann ärgert sich über die Art und Weise, wie auf die Matura reagiert wird: „Da werden Bildungsla­ufbahnen an einem Tag zerstört. Was Kinder und Familien über Jahre aufgebaut haben, wird mit einer Prüfung vernichtet.“

– Verschiede­ne Schulforme­n,

gleiche Matura Vom HTL-Absolvente­n bis zur Kindergart­enpädagogi­n müssen alle BHS-Schüler die gleichen Grundkompe­tenzen bewältigen. Für Vohns ist das insofern absurd, „als von den AHS-Absolvente­n andere Kompetenze­n abgefragt werden – am Ende erhalten aber alle die Berechtigu­ng, an einer Uni zu studieren. „Andernorts ist es üblich, dass verschiede­ne Fächer auf verschiede­nen Niveaus abgeprüft werden.“

Dass so viele Probleme mit den Grundkompe­tenzen haben, kann viele Ursachen haben (Grundkompe­tenzen werden im ersten Teil geprüft, wer da positiv hat, hat zumindest ein „Genügend“, Anm.): „Entweder sind die Themengebi­ete zu breit oder es muss präziser gesagt werden, was gelernt werden muss“, so Vohns. Dass heuer die Matura in Mathe so schlecht ausgefalle­n ist, kann noch einen anderen Grund haben: Bisher mussten nur die HTL-Schüler schriftlic­h in dem Fach maturieren – alle anderen BHSSchüler konnten sich zwischen mündlich und schriftlic­h entscheide­n. Heuer traten sehr viele schriftlic­h an, weshalb der Notenschni­tt sich auch verschlech­terte.

– Die Lehrperson­en „Manche arbeiten noch so wie vor 20 Jahren. Da muss man die Lehrer weiterbild­ung verändern “, mein tV ohns.Do ch ausbil dungs wissenscha­ftlicher Sicht ist das keine einfache Sache :„ Wir wissen, dass sich Unterricht­s traditione­n trotz Reformen oft sehr lan-

ge halten“, sagt Hopmann. Zudem gibt es eben Pädagogen, die ihr Handwerk beherrsche­n und solche, die es nie beherrsche­n werden. Doch auch Direktoren halten an Traditione­n fest. In Österreich ist es üblich, dass ein Lehrer eine Klasse die ganze Oberstufe begleitet. Falls dieser nicht unterricht­en kann, hat die gesamte Klasse das Nachsehen. Eine Matura ist aber nur dann fair, wenn alle zuvor den gleichen Unterricht genossen haben.

– Textlastig­e Aufgaben Wer ein Blick in die Aufgaben wirft, merkt bald: Es gibt heute mehr Textaufgab­en als früher. „Wir wissen, dass da schon eine kleine Veränderun­gder Formulieru­ng zu unnötigen Verständni­s problemen führen kann “, soVohns.

– Notenschlü­ssel Heuer wurde in Österreich im Vorhinein „eine kleine Veränderun­g des Notenschlü­ssels vorgenomme­n“, heißt es aus dem Ministeriu­m – zum Nachteil der Schüler. Vielleicht sollte man sich ein Beispiel anden Niederland­en nehmen, wo der Korrektur schlüssel ans Ergebnis angepasst wird, sodass es nicht zu großen Schwankung­en kommt. Die typisch österreich­ische Lösung ist jetzt die Kompensat ions prüfung: Ein Hintertürl, bei der „am Ende eine sozial verträglic­he Durchfallq­uote zustande kommt. So lügt man sich in die Tasche“, meint Vohns.

„Es gibt keine Möglichkei­t, eine Prüfung so zu konstruier­en, dass sie für alle fair ist.“Stefan Hopmann Bildungswi­ssenschaft­ler

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria