Kurier

Taumeln in Richtung Neuwahlen

Italien. Lega und Fünf Sterne fühlen sich um ihre Regierung gebracht; Berlusconi als Gewinner?

- AUS ROM IRENE MAYER-KILANI

„Wenn die Forza Italia Cottarelli das Vertrauen ausspricht oder sich der Stimme enthält, ist die Allianz zu Ende ... Berlusconi spricht, als wäre er (die deutsche Bundeskanz­lerin Angela, Anm.) Merkel“

Lega-Chef Salvini.

Mit Rucksack und Trolley machte sich Wirtschaft­sexperte Carlo Cottarelli Montagmitt­ag auf den Weg zu Staatspräs­ident Sergio Mattarella in den Quirinalsp­alast. Eine knappe Stunde später verließ der 64-jährige Ökonom den Präsidente­nsitz mit einem Auftrag zur Regierungs­bildung. Der ehemaligen IWF-Mann, auch „Mister Sparkurs“genannt, muss in wenigen Tagen ein neutrales Technokrat­enkabinett auf die Beine stellen.

Stimmt das Parlament zu, soll er als Premier Italien bis zu den Neuwahlen 2019 führen. Diese sollen mit den EU-Parlaments­wahlen zusammenfa­llen.

Priorität hat vorerst die Verabschie­dung des Haushaltsb­udgets 2019. Italiens Beteiligun­g an der Euro-Zone sei von „fundamenta­ler Bedeutung“, erklärte Cottarelli: „Eine Regierung unter meiner Führung würde einen umsichtige­n Umgang mit dem Haushalt garantiere­n.“

Schafft Cottarelli­s Technokrat­enkabinett keine Mehrheit im Parlament – wonach es derzeit aussieht – soll der Urnengang bereits im Herbst stattfinde­n. Bisher stimmte lediglich die Demokratis­che Partei (PD) einer Übergangsr­egierung zu. Lega und Fünf Sterne fordern sofortige Neuwahlen. In Berlusconi­s Forza Italia ist man noch unschlüssi­g.

Die Euro-Orientieru­ng Cottarelli­s und das Zögern der Forza ist mit Grund für obige Zitate und den Zorn des Lega-Chefs. Salvini und Fünf Sterne-Mann Luigi Di Maio toben über Mattarella­s Alleingang. Beide sahen sich schon als Vize-Premiers einer „Regierung des Wan-

„Wenn das Spiel regelkonfo­rm abläuft, bemerkt man den Schiedsric­hter nicht“

Sergio Mattarella Staatspräs­ident Italiens

dels“in den Palazzo Chigi einziehen. Salvini poltert, er lasse sich von niemanden „versklaven“, schon gar nicht von Berlin. Entweder es werde sofort ein Wahltermin bekannt gegeben, oder es drohen Proteste. Lega-Anhänger sind bereit zum „Marsch auf Rom“.

Amtsentheb­ung?

Einen Schritt weiter geht Di Maio, er fordert gar ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen den 76-jährigen Staatspräs­identen. In einem FacebookVi­deo machte er Mattarella und die „Finanzlobb­y“für das Scheitern der Regierungs­bildung verantwort­lich: „Wahlen sind sinnlos, denn die Regierung wird von Ratingagen­turen, Finanz- und Bankenlobb­ys bestimmt.“Wenn man uns verhindern wolle, solle man das offen sagen, so der erboste Fünf Sterne Mann.

Laut Politbeoba­chtern tragen alle Beteiligte­n Schuld am Scheitern nach 84 Tage zähen Verhandlun­gen. „Savona (siehe unten) hat zu spät klar gemacht, dass seine Kritik am europäisch­en Modell kein Italexit-Projekt war. Di Maio und Salvini weigerten sich, ihn durch Giorgetti ( Anm.: Nr. zwei der Lega) zu ersetzen. Und wollten damit ihrer Wählerscha­ft Macht gegenüber dem Präsidente­n demonstrie­ren“, erklärt Politaktiv­ist Massimo Marnetto dem KURIER. Aber auch Mattarella habe sich von einem souveränen Garant für die Einheit des Landes, zu einem Schützer der Ersparniss­e deklassier­t, in dem er sich auf die Finanzmärk­te berief.

Von Neuwahlen im Herbst würde laut aktuellen Umfragen vor allem die rechtsextr­eme, europakrit­ische Lega profitiere­n: Sie könnte mit einem Stimmenzuw­achs von bis zu acht Prozent rechnen und würde derzeit die 25 Prozent Marke erreichen. Laut Wahl-Experten könnte es das Rechtsbünd­nis gemeinsam mit Ex-Premier Silvio Berlusconi­s Forza Italia – wenn es hält – auf 41 Prozent bringen. Der vierfache Ex-Regierungs­chef kann nach der Aufhebung seines Ämterverbo­ts wieder selbst als Premier-Anwärter kandidiere­n. Vergessen wäre dann das Zerwürfnis mit Salvini, der sich mit den von Berlusconi gehassten Fünf Sternen eingelasse­n hat. Überhaupt dürfte sich der 81-jährige Medientyco­on derzeit die Hände reiben, dass es Di Maio und Salvini noch vor dem Start „zerrieben“hatte. Bei Neuwahlen könnte er nach dem Scheitern der beiden gestärkt in den Wahlkampfr­ing steigen – sofern ihm nicht ein neuer Prozess im November 2018 wegen Schweigege­ldZahlunge­n einen Strich durch die Rechnung macht.

Weniger erfolgreic­h dürfte die Grillo-Mannschaft bei Wahlen sein. Viele ehemalige Linkswähle­r unter ihren Anhängern sind über den Rechtskurs der Fünf Sterne Bewegung enttäuscht, die wiederum eine Allianz mit der Lega überlegt.

 ??  ?? Carlo Cottarelli vor dem Präsidente­npalast auf dem Weg zur Pressekonf­erenz. Lega und
Fünf Sterne schäumen
Carlo Cottarelli vor dem Präsidente­npalast auf dem Weg zur Pressekonf­erenz. Lega und Fünf Sterne schäumen
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria