Kurier

Erinnerung­en zum 100. Geburtstag

Leonard Bernstein. Tochter Jamie über das private wie das öffentlich­e Leben des Komponiste­n und Dirigenten

- VON GEORG LEYRER (lacht)

Die Tochter des charismati­schen Musikers schrieb ein Buch. Der KURIER sprach mit ihr.

„Famous Father Girl“heißt das kommende Woche erscheinen­de Buch von Leonard Bernsteins Tochter Jamie über den weltberühm­ten Dirigenten und Komponiste­n (1918–1990). Dessen 100. Geburtstag wird heuer mit weltweit 3.300 Veranstalt­ungen gefeiert.

KURIER: War es einst schwierig, die Tochter von Leonard Bernstein zu sein?

Jame Bernstein:

In mancher Hinsicht ja. Aber im Gesamten war es eine wundervoll­e Erfahrung. Mein Vater war eine herzliche, gefühlvoll­e, lustige Person. Es machte Spaß, ihn zum Vater zu haben, er unternahm auch sehr gerne Sachen mit meinen Geschwiste­rn und mir. Und er nahm uns immer mit zu Proben, auf Tourneen mit den New Yorker Philharmon­ikern. Und er brachte uns immer etwas bei – er war ein zwanghafte­r Lehrer! Jeden Tag lernten wir über Musik, Literatur, Geschichte.

Nahm er Sie auch mit nach Wien?

Ja! Das waren fantastisc­he Erfahrunge­n. Wir wohnten in unglaublic­hen, glamouröse­n Hotels. Aber mein Vater empfand das nie als selbstvers­tändlich. Er war selber von seinem eigenen Glück erstaunt. Und wenn er uns mitgenomme­n hat, konnte er all das durch uns auf frische Art wiederaufs­Neueerfahr­en.Er liebte es so sehr wie wir.

Leonard Bernstein war auch für das Wiener Musikleben wahnsinnig wichtig: Er brachte Mahler zurück nach Wien.

Immer, wenn er von Wien aus wieder nach Hause kam, ging er drei Meter über dem Boden, weil seine Erfahrunge­n hier so großartig waren. In Wien wurde er wie ein Gott behandelt. Wenn er dann wieder zu Hause war, zogen wir ihn auf und erinnerten ihn daran, dass er ein normaler Mensch wie alle anderen ist (lacht).

Die Fallhöhe zwischen öffentlich­er Figur und Familienme­nsch war sicher schwierig für ihn.

Ja, das war es wohl. Es war auch schwierig für ihn, zwischen Dirigent und Komponist zu wechseln: Einerseits immer von Menschen umgeben zu sein und anderersei­ts alleine zu versuchen, Noten in sich zu finden. Er liebte und brauchte beides.

Berühmtsei­n war damals wohl auch noch weniger komplizier­t.

Ja, heute ist alles für Menschen im Rampenlich­t viel intensiver, mit Social Media und Smartphone­s. Jeder fotografie­rt immer! Aber auch damals gab es schon viel Aufmerksam­keit. Wenn wir ausgingen, kamen die Menschen zu ihm, baten ihn um Autogramme. Aber noch keine Selfies!

Bernstein war seiner Zeit voraus: Er hat mit den Kinderkonz­erten im Fernsehen schon in den 1950ern und 1960ern die klassische Musik an viele Menschen gebracht, die sie sonst wohl nie erlebt hätten.

Ja, er war auf viele Arten seiner Zeit voraus. Und durch die Fernsehkon­zerte war Klassik gratis für die Kinder. Er nahm das Elitäre aus der klassische­n Musik und zeigte allen, dass jeder sie genießen konnte. Man musste nicht aus der Oberschich­t kommen oder eine gute Ausbildung haben. Nichts davon hat Bedeutung. Und er war im Fernsehen so ein begnadeter Kommunikat­or! Es war wie ein Wunder, dass er und das damals neue Fernsehen zur gleichen Zeit da waren. Sie passten so gut zusammen. Er sprach in die Kamera und man hatte das Gefühl, dass er zu einem persönlich spricht.

So eine Persönlich­keit würde die Klassik wieder brauchen.

Es gab niemanden mehr, dersodynam­ischwar.Aberes hat sich auch die Welt verändert. Damals gab es einen Bildschirm in der Wohnung, vor dem alle gemeinsam saßen. Auch deswegen hatte mein Vater so großen Einfluss. Heute sind es oft zehn, wenn man alle Laptops, Smartphone­s, Tablets mitzählt. Selbst wenn wir Leonard Bernstein zurückbrin­gen würden, hätte er nicht mehr denselben Einf luss.

Gibt es etwas, das er Ihnen beigebrach­t hat, das Ihnen besonders wichtig ist?

Er sagte einmal: Du musst deine Erfahrunge­n schätzen und beschützen. Ich habe deswegen mein ganzes Leben Tagebuch geführt – und das half mir sehr, dieses Buch zu schreiben. Meine Geschwiste­r konnten sich an nichts erinnern!

Waren die beiden involviert in die Entstehung?

Ja, sie hatten Veto-Recht, wenn sie etwas nicht darin haben wollten. Aber es gab nichts.

Ist die nach dem Tod Ihrer Mutter öffentlich bekannt gewordene Homosexual­ität Ihres Vaters Thema im Buch?

Ja. Mein Empfinden ist: Immer wenn man versucht, etwas zu verstecken, fällt einem das später auf den Kopf. Es ist viel besser, es anzusprech­en, mit Ehrlichkei­t und Liebe. Ja, es war komplizier­t für uns und nicht leicht zu verstehen. Und manchmal schmerzhaf­t. Unsere Familie hatte eine ehrliche Nähe und Wärme. Die war so stark, dass wir einander eng verbunden blieben.

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 ??  ?? Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 geboren – das 100-Jahr-Jubiläum wird heuer ausgiebig gefeiert
Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 geboren – das 100-Jahr-Jubiläum wird heuer ausgiebig gefeiert

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