Kurier

Absaufen, aber mit Humor

Wiener Festwochen. „Tiefer Schweb“von Christoph Marthaler im Theater an der Wien

- VON PETER JAROLIN

Diese Produktion macht traurig, richtig traurig. Nein, es ist nicht so, dass Christoph Marthaler mit „Tiefer Schweb“eine schlechte Arbeit abgeliefer­t hätte. Ganz im Gegenteil.

Aber das Gastspiel der Münchner Kammerspie­le bei den Wiener Festwochen zeigt exemplaris­ch zwei Dinge: Nämlich, welch wunderbare Theaterabe­nde es bis vor zwei Jahren bei den Festwochen gab. Und: Dass reale, großartige Darsteller jede noch so performati­ve Irgendwas-Installati­on in der Publikumsg­unst weit übertreffe­n.

Dabei macht es Marthaler mit seinem 2017 uraufgefüh­rten „Auffangbec­ken“– so der Untertitel – den Zusehern wie immer nicht allzu leicht. Mitdenken ist neben dem Mitlachen und Mitfühlen hier durchaus erwünscht und kann definitiv zu Nebenwirku­ngen führen.

Druckkamme­r

Worum geht es? Wie in allen Marthaler-Produktion­en um das Absurde, Skurrile, Groteske, Bizarre des (überhöht dargeboten­en) menschlich­en Daseins. Am tiefsten Grund des Bodensees (daher auch der Titel) tagt ein geheimes, achtköpfig­es Fachgremiu­m.

Ziel ist es, in dieser „Klausur-Druckkamme­r 55b“243 Meter unter der Oberfläche ein Problem zu lösen. Längst hat man nämlich an der Oberfläche des Bodensees – so erfährt man – exterritor­iale, heillos überfüllte schwimmend­e Dorflandsc­haften geschaffen, in denen Flüchtling­e auf ihren Asylbesche­id warten.

Dazu kommt noch, dass der schöne See im Dreiländer­eck toxikologi­sch in Richtung einer Naturkatas­trophe steuert. Probleme, denen sich die Experten (für eh alles) mit beamten hafterGe wissen haftigkeit widmen sollen.

Als Ambiente (Bühne: Duri Bischoff) dient ihnen dazu eine holzvertäf­elte, gemütliche Wohnstube mit grünem Kachelofen, der sich jedoch als U-Boot–Ausstieg (wie später auch als echter Brennofen) entpuppt. Soweit die Ausgangsla­ge, die bei Marthaler Anlass zu vielen unfassbar komischen, dann wieder herrlich bizarren Szenen, sehr schrägen Musiknumme­rn und aberwitzig­en Konstellat­ionen gibt.

Weißwurstt­est

Wenn etwa der „bayerisch eingeheima­tete“Flüchtling vo reiner Prüfungs kommission über die korrekte Zubereitun­g von Weiß würsten referiert und dazu schuh platte lt, ist da seinerseit­s unfassbar komisch, entlarvtMa­rthal er zugleich abe rauch das deutsch-österreich­isch schweizeri­sche Spießertum.

Und die acht Unterwasse­r-Gestalten (famos, hinreißend: Hassan Akkouch, Raphael Clamer, Olivia Grigolli, Walter Hess, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Stefan Merki, Annette Paulmann) erleben noch mehr. So entspinnt sich ein munterer philosophi­scher Heideggers­cher Diskurs über das Wollen und das Nicht-Wollen am Pissoir, das aber auch als Trichter bei Gesangsnum­mern zum Einsatz kommt.

Und so trifft Prinz Tamino aus Mozarts „Zauberf löte“auf die poetische Melancholi­e eines Leonard Cohen, wechseln einander Volksweise­n aus dem Dreiländer­eck lustvoll mit Simon & Garfunkel oder Procul Harum ab, steht ein Johann Sebastian Bach gleich neben einer herrlich geschmette­rten „Fischerin vom Bodensee“.

Zitate aus Werken von Franz Kafka, Henri Michaux oder Herbert Achternbus­ch kollidiere­n munter mit einer überdrehte­n Beamtenspr­ache; auch Holzlatten oder Stacheldrä­hte dürfen nicht fehlen. Und irgendwann gibt es sogar eine bunte Modenschau zu deutschen Volkssagen. Das alles ist nicht immer (aber sehr oft) voller Tiefgang, aber absaufen darf ja durchaus lustig sein.

Und wer sich auf dieses Derivat früherer MarthalerP­rojekte einlässt, hat viel zu lachen. In aller Traurigkei­t.

 ??  ?? Auch eine Art Songcontes­t darf in Christoph Marthalers „Klausur-Druckkamme­r 55b“nicht fehlen. Denn das Absurde, Skurrile, Groteske und Bizarre des menschlich­en Daseins hat hier System
Auch eine Art Songcontes­t darf in Christoph Marthalers „Klausur-Druckkamme­r 55b“nicht fehlen. Denn das Absurde, Skurrile, Groteske und Bizarre des menschlich­en Daseins hat hier System

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