Kurier

Breite Front gegen Deutschkla­ssen

Lehrer erwägen Boykott der Klassen, Gewerkscha­ft schließt Kampfmaßna­hmen nicht aus

- VON EVELYN PETERNEL UND UTE BRÜHL

An sich sind die Deutschkla­ssen für Kinder, die keine ausreichen­den Sprachkenn­tnisse haben, ja schon seit einiger Zeit beschlosse­ne Sache. An sich.

Wäre da nicht eine Gruppe Wiener Pflichtsch­ul- und NMS-Lehrer, Direktoren und Wissenscha­ftler, die nun lapidar sagt: Der Plan, die Kinder für ein bis zwei Jahren in separaten Klassen zu unterricht­en, sei schlecht organisier­t, unausgegor­en, generell nicht zielführen­d.

Wenn die Regierung das nicht überdenke, werde man über„ eine Umgehung“nachdenken. Sprich: Plötzlich steht ein Boykott im Raum.

Ideologief­rage

Dass das für Streit sorgt, ist nur logisch. Während von Neos und SPÖ Applaus kommt, spricht die ÖVP, seit Jahren Verfechter­in separater Klassen, von „linken Ideologen“, die sich besser um die Zukunft der Kinder kümmern sollten, so Generalsek­retär Karl Nehammer. Wiens FPÖLandesc­hef Johann Gudenus nennt das Ganze „skandalös“– und fordert Konsequenz­en.

Nur: Ist das ganze wirklich eine Ideologief­rage? „Nein“, sagt Erika Tiefenbach­er, Direktorin der Wiener NMS Schopenhau­erstraße und Mitglied der Lehrerplat­tform. Für sie sind es Erfahrungs­werte, die zählen: Sie hat zu Beginn der Flüchtling­skrise eine eigene Klasse für geflüchtet­e Kinder installier­en müssen, „einfach, weil es zu viele waren.“Die Lehre daraus? „Diese Kinder kön- nen deutlich schlechter Deutsch als jene Flüchtling­skinder, die gemeinsam mit den anderen Kindern unterricht­et wurden“, sagt sie.

Gefahr Gettoklass­e

Problemati­sch ist für sie, dass „wirklich jede Schule dasselbe System haben soll. Wir haben ja seit Jahren mit dem Problem zu tun, darum hat auch jede Schule ihr eigenes, erfolgreic­hes Modell entwickelt.“ Sie fordert darum, dass die Schulen Deutschkur­se im Rahmen ihrer Autonomie umsetzen dürfen. Nur so könne man Schullaufb­ahnVerlust­e – also Sitzenblei­ben und Schulabbru­ch – vermeiden. „Mit dem jetzigen Modell besteht die Gefahr, dass es zu noch mehr Gettoklass­en kommt.“Und damit zu hohen Folgekoste­n.

Dass da nicht jeder zustimmt, ist freilich auch klar. Im Ministeriu­m verweist man gern auf die positiven Erfahrunge­n aus Berlin (siehe Artikel unten) – und darauf, dass vor allem in Wien andere Gesetze gelten. Das bestätigt auchWa lt erGu st er er, ehemals Bezirkssch­ul inspektor im 20. Bezirk: „Dass Kinder von anderen Kindern Deutsch lernen, stimmt nicht immer. Gerade in Wien, wo wir oft Klassen mit mehr als 90 Prozent Migranten haben, funktionie­rt das oft nicht.“

Bleibt die Frage: Was passiert, wenn die Lehrer ihre Drohung wahr machen – und das Gesetz im Herbst boykottier­en? Das empfehlen selbst jene nicht, die die Lehrer inhaltlich unterstütz­en: Wiens SPÖ-Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky äußerte für den Protest „großes Verständni­s“, erinnerte die Lehrer aber daran, sich an Gesetze zuhalten. Ähnlich die Reaktion von Lehrer gewerkscha­fter Paul Kimberger: „Das würde ich niemandem raten. Ein vorsätzlic­her Gesetzesbr­uch hätte eine disziplinä­re Ahndung zur Folge.“

Runder Tisch kommt

Die Kritik verstehe er aber „in weiten Teilen durchaus“, wie er zum KURIER sagt – und er wird sie weitertrag­en: Für kommenden Mittwoch hat er, der schwarze Gewerkscha­fter, einen Termin mit ÖVP-Bildungsmi­nister Heinz Faßmann erkämpft. Würden dort nicht alle offenen Fragen positiv beantworte­t – darunter auch die Beibehaltu­ng der Autonomie bei Deutschkur­sen –, „werden wir den gewerkscha­ftlichen Druck erhöhen.“Ob das auch Kampfmaßna­hmen beinhaltet? „Ich schließe nie etwas aus.“

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Ab Herbst sollen Kinder ohne Deutschken­ntnisse in Extraklass­en – viele Lehrer haben Bedenken

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