Kurier

Betriebsau­sflug in den Maschinenr­aum der EU

EU-Ratsvorsit­z. Die gesamte Regierung reiste nach Brüssel zur Kommission. Beim Thema Geld und Migration hakt es

- – INGRID STEINER-GASHI, BRÜSSEL

Ein Kanzler, dreizehn Minister und zwei Staatssekr­etäre – die Anwesenhei­t der gesamten österreich­ischen Regierung bringt die Räume der Ständigen Vertretung Österreich­s in Brüssel buchstäbli­ch zum Kochen. Alles drängelt und schiebt sich durch die übervollen Gänge der gerade noch rechtzeiti­g vor Beginn des Ratsvorsit­zes fertig renovierte­n EU-Botschaft: So einen Aufritt hat es hier noch nicht gegeben – einen informelle­n Ministerra­t der österreich­ischen Regierung.

Aber eigentlich ist es mehr noch eine schnelle, kurze Besprechun­g, ehe Kanzler Sebastian Kurz und sein türkis-blaues Regierungs­team zu einer Premiere ins nahe gelegene Kommission­sgebäude aufbrechen: ein Zusammentr­effen der vollzählig­en österreich­ischen Regierung mit der gesamten Spitze der Europäisch­en Kommission. Eine „Klassenfah­rt der Regierung“, sei das, ätzte Opposition­schef Christian Kern aus dem fernen Wien. Doch der Antrittsbe­such der heimischen Regierungs­mannschaft in Brüssel – sie war eher ein Betriebsau­sflug der heimischen politische­n Führungsma­nnschaft in den Maschinenr­aum der EU. „Das ist schon etwas Besonderes“, zollt ein Diplomat dem Großauftri­tt der Wiener Beifall. Andere Staaten schickten meistens nur einen Teil ihrer Regierung. In vielen Konzernen ist es übrigens verboten, dass der gesamte Vorstand in der selben Maschine sitzt.

Keine Küsschen

Freundlich­es Händeschüt­teln, aber dieses Mal keine Begrüßungs­küsschen: Einem Dreier-Treffen von Kanzler Sebastian Kurz und Vize-Kanzler Hans Christian Strache mit EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker folgte das gemeinsame Mittagesse­n. Im 13. Stock des Berlaymont­Gebäudes nahmen die 16 österreich­ischen Regierungs­mitglieder neben den 28 EUKommissa­ren und deren Chef Juncker Platz. Zum Teil kennt man einander ja schon. Justizmini­ster Moser erzählt von bestem Einverstän­dnis mit seiner Ressortkol­legin, Justiz-Kommissari­n Jourova.

Dass Österreich seinen Ratsvorsit­z profession­ell meistern wird, bezweifelt in Brüssel niemand. Doch nicht bei allen Themen, die man in dieser Zeit angehen will, herrscht Einigkeit. Teils „lebhaft“bis „intensiv“sollen die Diskussion­en ausgefalle­n sein. Denn vor allem zwei Themen sieht man in Brüssel anders: etwa das kommende EU-Budget. „Da gibt es unterschie­dliche Wahrnehmun­gen zwischen Österreich und der Kommission“, bestätigte Juncker seinem „guten Freund Sebastian“.

So hat der Nettozahle­r Österreich immer wieder klar gemacht, dass man keinen Euro mehr ins künftige EU-Budget einzahlen will. Und überhaupt, so urgieren Kurz und Kanzleramt­sminister Blümel, sei nicht einzusehen, warum der künftige Haushalt der EU größer werden soll – wo es doch ein Mitglied, Großbritan­nien, weniger geben wird.

Schutz der Grenzen

Darauf aber pocht die Kommission: Die EU-Mitglieder sollen mehr zahlen, dürfen aber auch mehr Leistungen erwarten. Verstimmun­g sieht Kurz nicht herandämme­rn: „Letztlich“, so versichert der Kanzler, „sind Budgetverh­andlungen immer ein Kompromiss.“Juncker erwartet aber auch von Österreich mehr Flexibilit­ät: „Am Ende wird man sich aufeinande­r zubewegen müssen.“

Wichtigste Botschaft der Österreich­er an Brüssel aber gestern war: „Wir sollten uns beim Flüchtling­sthema dort fokussiere­n, wo Zusammenar­beit möglich ist“, sagte Kurz und meint damit: die Grenzschut­zagentur Frontex stärken, sie mit neuem Mandat ausstatten. „Wir wollen die Migrations­ströme nach Europa reduzieren und mehr Ordnung in Europa sicherstel­len“, sagte Kurz. Und er wiederholt­e den Plan, illegale Migranten in „sichere Zonen außerhalb der EU“zu bringen. Dies allerdings, so der Kanzler, sei eine Initiative mehrerer Staaten, darunter Dänemark, habe mit dem Ratsvorsit­z nichts zu tun.

Auch wenn man zwischen Wien und Brüssel nicht alle Meinungen teilt, ließ Juncker keine Vorbehalte gegen den rechtspopu­listischen Teil der Regierung durchkling­en: „Ich habe einen guten Eindruck von der gesamten Regierung.“Und hat offenbar auch Außenminis­terin Karin Kneissl verziehen, dass diese ihn einst, vor ihrer Zeit in der Regierung, als „Cäsar“kritisiert hatte.

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Ein EU-Gruppenfot­o der anderen Art: Die Kommission empfängt die gesamte österreich­ische Bundesregi­erung. Wien ist auf Charmeoffe­nsive. Inhaltlich aber spießt es sich
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Im Anflug auf Brüssel: Die Regierung präsentier­te ihr Programm für den Ratsvorsit­z

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