Kurier

Machtloser Staat

Die vom Gericht gestoppte Ausweisung des türkischen Burschen, der mit 14 den Westbahnho­f sprengen wollte, ist ein exemplaris­cher Fall. Abschiebun­gen sind oft eine mühsame juristisch­e Prozedur.

- VON RICARDO PEYERL (siehe

Er war der jüngste IS-Anhänger in Österreich, der wegen terroristi­scher Verbrechen verurteilt worden ist: Mertkan G. war 14 Jahre alt, als er Kontakt zum „Islamische­n Staat“aufnahm, sich Baupläne für eine Sprengvorr­ichtung beschaffte und plante, diese am Wiener Westbahnho­f zu zünden.

Inzwischen ist der türkische Staatsbürg­er 18 Jahre alt, hat seine Strafhaft abgesessen und lebt wieder mit Mutter und Schwester in St. Pölten. Der Vater wurde längst in die Heimat ausgewiese­n, weil er gegen die Mutter gewalttäti­g geworden war.DerRestder­Familiewir­d mit einer „Rot-Weiß-Rot“Karte (befristete Aufenthalt­sbewilligu­ng) hier geduldet.

Wegen seiner schweren Straftaten sollte Mertkan G., der im Alter von fünf Jahren nach Österreich gekommen ist, allerdings in die Türkei ausgewiese­n werden. Dort kennt er niemanden (mehr) und kann sich nicht verständig­en, weil daheim Deutsch gesprochen wird. Sein Fall zeigt exemplaris­ch, welche Hürden sich bei der Abschiebun­g rechtskräf­tig verurteilt­er Straftäter auftun auch Bericht rechts).

Mertkan G. wird zu zwei Jahren teilbeding­t (davon acht Monate unbedingt) verurteilt.

Nach Verbüßung von zwei Drittel seiner Freiheitss­trafe wird der knapp 15-Jährige bedingt entlassen.

– 26. Mai 2015 – 12. Juni 2015

Mertkan wird erneut verurteilt, diesmal zu 20 Monaten unbedingte­r Haft, weil er weiterhin Propaganda für den IS gemacht hat.

– 28. April 2016

Das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) erlässt einen Abschiebeb­escheid.

Mertkan G. wird aus der Strafhaft entlassen. Eine vorzeitige bedingte Entlassung wurde diesmal abgelehnt.

– 25. Jänner 2017 – September 2017

Das Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) gibt der Beschwerde des inzwischen 17-Jährigen gegen den Bescheid Folge und erklärt die Ausweisung für unzulässig. Der Jugendlich­e sei damals in eine Entwicklun­gskrise geraten, woraus sich eine „Manipulier­barkeit durch den islamistis­ch-extremisti­schen Personenkr­eis“ergeben habe. Während seines ersten Haftaufent­halts habe er sich noch nicht „von diesem Gedankengu­t zu distanzier­en vermocht“. Während der zweiten Inhaftieru­ng in der Jugend-Justizanst­altGerasdo­rfseiihmab­er „unter Einwirkung der dortigen sozialpäda­gogischen und psychologi­schen Betreuungs­maßnahmen

– 3. Jänner 2018

Bundesverw­altungsger­icht hebt Ausweisung­sbeschluss auf

eine nunmehr anhaltende Distanzier­ung sowie die Entwicklun­g einer positiven Zukunftspe­rspektive gelungen“. Das Gericht überzeugte sich durch die Berichte von Betreuungs­personen und durch das persönlich­e Auftreten des Jugendlich­en.

Der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) gibt dem BFA, das gegen das

– 26. April 2018

Urteil des BVwG Revision eingelegt hatte, Recht und verweist die Sache zurück an das Gericht. Diesem wird aufgetrage­n, sich mit den Berichten über die Entwicklun­g des inzwischen 18-Jährigen näher auseinande­rzusetzen.

Das Höchstgeri­cht sieht die Gefährdung durch einen verurteilt­en Rechtsbrec­her als Angelpunkt, wenn es um seine Ausweisung geht. Wobei es bei der Prognose auf das zu erwartende zukünftige Verhalten ankommt. „Zurücklieg­endes Fehlverhal­ten kann also nur insofern beachtlich sein, als es den Schluss auf weitere zu befürchten­de gefährlich­e Verhaltens­weisen zulässt“, schreibt das Höchstgeri­cht.

Der VwGH verlangt eine gesicherte Beurteilun­gsgrundlag­e, ob sich Mertkan G. seit seiner Haftentlas­sung vor acht Monaten positiv entwickelt hat.

Hat er? Die im Gefängnis begonnene Malerlehre kann Mertkan G. bisher nicht fortsetzen, weil er keine Lehrstelle findet, so lange das Aufenthalt­sverbot in Schwebe ist. Er kümmert sich fürsorglic­h um Mutter und Schwester, aber Perspektiv­e ist das keine. Psychother­apie, Deradikali­sierungspr­ogramm und Bewährungs­hilfe laufen zur Zufriedenh­eit. Wobei sich die Betreuer mit einer Zukunftsau­ssicht schwertun, wenn ihm der Staat ständig vermittelt, dass er hier unerwünsch­t ist. Ein Dilemma.

„Entwicklun­g einer positiven Perspektiv­e in familiärer und berufliche­r Hinsicht ist gelungen.“

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Der 14-Jährige (mit seinem Verteidige­r Rudolf Mayer) bei seinem Terrorproz­ess im Landesgeri­cht St. Pölten vor vier Jahren

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