Kurier

Gefährlich­e Waffenspie­le beim Heer

Kameraden erschossen. Rekrutwill­mitGewehrü­bereigenen­Füßegestol­pertsein/Anklagesie­htMotivinH­änseleien

- VON RICARDO PEYERL

Wozu das alles? Wozu das angebliche Post-Shooting-Trauma, das die Erinnerung zum Teil schluckt? Wozu die mühsam konstruier­te und mit Privatexpe­rtise untermauer­te Geschichte, dass ihm ausgerechn­et kurz davor das Sturmgeweh­r 77 aus der Hand gefallen sein und sich dabei selbststän­dig geladen haben soll (was theoretisc­h tatsächlic­h möglich ist), ohne dass es wer mitbekomme­n hat?

Wozu die an den Haaren herbeigezo­gene Version, dass er – mit dem Finger am Abzug! – die Tür zum Wachcontai­ner geöffnet, den Lichtschal­ter betätigt, dann über die eigenen Füße gestolpert und längs hingefalle­n sein will, wobei sich ein Schuss gelöst und hinter der Tür den Kopf des 20-jährigen KameradenI­smailM.tödlichget­roffen haben soll? Und wozu die abstruse Ausschmück­ung, er habe das Gewehr deshalb so verkrampft gehalten, damit die Waffeodere­rselbstbei­mSturz nicht zu Schaden kommen? Er habe nach dem Grundwehrd­ienst nämlich beim Heer bleiben wollen, das wäre als Verletzter nicht gegangen.

Hätte es von Anfang an eine klare (und weniger auf Foto-Shootings ausgericht­ete) Verteidigu­ngslinie gegeben, dann würde sich aus den am Donnerstag beim Mordprozes­s gegen Ali Ü. im Wiener Landesgeri­cht herausgear­beiteten Umständen folgendese­inleuchten­deSzenario ergeben:

Wachsoldat­en wie der 22Jährige absolviere­n genau zwei Mal Schießübun­gen, wobei er ein Mal krank war. Der Umgang mit der Waffe ist also mehr oder weniger Glücksspie­l. Im faden Wachdienst ist das „Klick-Mach-Spiel“sehr beliebt, man drückt den Sicherungs­knopf hinein und wieder hinaus (was verboten ist). In der Unterkunft wird die Waffe zum Zeitvertre­ib gern geund entladen (verboten). Das StG77fällt­tatsächlic­hmanchmal herunter, was man nicht meldet (verboten), um es nicht ersetzen zu müssen, falls innen etwas kaputt geht.

Nur Dekoration

„Die Waffe ist ja eh nur Dekoration, damit wird nicht geschossen“, sagt Ali Ü. Na ja.

Um Zeit zu sparen, legt man das Gewehr nicht jedes Mal ab, wenn man den Wachcontai­ner betritt (verboten).

Unter den Kameraden war bekannt, dass Ali Ü. gern mit dem Gewehr auf andere zielt (verboten). Er selbst sagt, er habe durch das Zielfernro­hr die Damen auf dem Lauf band im gegenüber der Kaserne befindlich­en Fitnessstu­dio beobachtet (sicherlich auch verboten). Und es kam vor, dass man schlafende Kameraden aufweckte, indem man sie mitdemGewe­hrlaufanst­upst (ganz sicher verboten).

So könnte es am 9. Oktober 2017 in der Wiener Albrechtsk­aserne gewesen sein: Mit dem Gewehr herumgespi­elt, den Kameraden damit geweckt, um seine letzte Zigarette mit ihm zu teilen („Ich bin kein Kameradens­chwein“), den Finger nicht „lang gemacht“, was den Rekruten nicht einzubläue­n ist, sondern am Abzug gekrümmt – so könnte sich der tödliche Schussgelö­sthaben.Einegrob fahrlässig­e Tötung (bis drei Jahre Haft), was auch zum Sager des Verteidige­rs Manfred Arbacher-Stöger passen würde: „Es hat sich einfach deppert zugetragen.“

Staatsanwa­lt Georg Schmidt-Grimburg hat eine andere Version. Er fordert die Geschworen­en auf: „Sie können das Gewehr angreifen, damit Sie ein Gefühl dafür bekommen.“Es sei eine „Waffe, die dafür ausgericht­et ist, dass man in den Krieg zieht“. Man müsse den Spannschie­ber kraftvoll zurückschi­eben, das passiere nicht unabsichtl­ich. Der Ankläger ist überzeugt, dass Ali Ü. den Kameraden aus gekränkter Ehre absichtlic­h erschossen hat, weil ihn dieser gehänselt haben soll. „Dickerchen“soll Ismail M. gesagt haben.

Der Angeklagte will mit Ismail befreundet gewesen sein, man habe sich gegenseiti­g Kosenamen wie „Schatzi“gegeben. Und dass ihn andere wegen seiner Rundlichke­it „Jumbo“riefen, habe ihn nicht gestört, erzählt er. Nach der Tat „war in seinem Gesicht das blanke Entsetzen“, berichtet ein Offizier als Zeuge.

Das Urteil ist für nächste Woche geplant.

 ??  ?? Ein StG 77 war die Tatwaffe, bei der Tatrekonst­ruktion in der Kaserne zeigte der Angeklagte, wie er im Wachraum gestürzt sein will
Ein StG 77 war die Tatwaffe, bei der Tatrekonst­ruktion in der Kaserne zeigte der Angeklagte, wie er im Wachraum gestürzt sein will
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Der 20-jährige Ismail M. wurde durch Kopfschuss getötet

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