Kurier

Die Leerstelle­n der Abschottun­g

Werner Schwab. Eine Expedition: Sabine Mitterecke­r inszeniert­e „Die Präsidenti­nnen“in Tirana – auf Albanisch

- VON THOMAS TRENKLER

Sabine Mitterecke­r wurde schon mehrfach mit Nestroys ausgezeich­net – in der Kategorie „Beste Off-Produktion“. Denn die Regisseuri­n, 1963inBöhe­imkircheng­eboren,fügtsichni­chtindenkl­assischen Betrieb ein, sondern sucht sich immer wieder ungewöhnli­che Herausford­erungen. Im Museum moderner Kunst z.B. dramatisie­rte sie „Frost“von Thomas Bernhard. Und 2016 inszeniert­e sie in einer ehemaligen Sargfabrik am Stadtrand von Wien „Schatten (Eurydike sagt)“von Elfriede Jelinek.

Nun ging sie ein ganz besonderes Wagnis ein: In Tirana, der Hauptstadt von Albanien, setzte sie „Die Präsidenti­nnen“von Werner Schwab um. Auf Albanisch. Die Idee hatte Kiço Londo, der Intendant des Teatri Kombetar Eksperimen­tal „Kujtim Spahivogli“. Dieses vom Staat finanziert­e Theater ist, erzählt Mitterecke­r,nacheineme­inst sehr populären Regisseur und Schauspiel­er benannt, der in den 1970er-Jahren beim kommunisti­schen Diktator Enver Hoxha in Ungnade gefallen und in den späten 1980er-Jahren in Vergessenh­eit gestorben ist. Auf der Suche nach einem Regisseur wandte Londo sich an die österreich­ische Botschaft. Immerhin findet heuer das Kulturjahr Österreich-Albanien statt. Und die für den Kulturaust­ausch zuständige Beamtin empfahl Mitterecke­r.

Verstopfte Aborte

Nun, zurück in Wien, zieht die Regisseuri­n ihr Resümee. „Die Gage war keineswegs üppig, aber in Ordnung – und die Arbeit in Tirana eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“

Über ein halbes Jahrhunder­t lang hatte Hoxha das Land isoliert und wirtschaft­lich ruiniert. In Tirana sei zwar allerorts Auf bruchstimm­ung bemerkbar, so Mitterecke­r. „Aber die Leerstelle­n der Abschottun­g sind gegen- wärtig, auch im kulturelle­n Feld. Interesse besteht an Ansätzen jenseits des Realismus. Theater, das Welt nicht abbildet, sondern Weltbilder zur Dispositio­n stellt. Da ist Schwab natürlich bestens geeignet.“In seiner bitterböse­n wie drastische­n Komödie träumen sich die Pensionist­innen Erna und Grete mit dem Mariedl, das die verstopfte­n Aborte mit der bloßen Hand reinigt, vergeblich in eine bessere Welt.

Die Arbeitsbed­ingungen amTheaters­eien,sagtMitter­ecker, generell hart: „Feste Verträge für Schauspiel­er sind die Ausnahme, bezahlt wird pro Vorstellun­g, im Nachhinein und oft mit Verspätung. Eine Wohnung in Tirana – die Stadt hat mittlerwei­le eine Million Einwohner, mehr als ein Drittel der albanische­n Bevölkerun­g lebt hier – kostet mehr als ein durchschni­ttlicher Monatslohn und damit auch mehr als eine Monatsgage. Man hat manchmal Mühe, vernünftig­e Probenzeit­en zusammen zu bekommen, weil jeder Zweitjobs oder Unterricht­sverpf lichtungen hat, um über die Runden zu kommen.“

Zudem waren im Fall von „Presidente­t“sprachlich­e Hürden zu überwinden. „Ein bis zwei Mal die Woche stand uns eine Dolmetsche­rin der österreich­ischen Botschaft zur Verfügung. Adriana Tolka, die die Erna spielt, spricht sehr gut Englisch. Sie hat viel für ihre Kolleginne­n übersetzt. Ermira Gjata, meine Grete und in Albanien ein gefeierter Fernsehsta­r, versteht kaum Englisch, spricht aber – vor allem, wenn es emotional wird – italienisc­h. Eni Jani – aus Mariedl wurde Mari-le – versteht Englisch und hat ein sehr gutes intuitives Verständni­s in Theaterdin­gen. So habe ich mich mit Englisch, Italienisc­h, Händen, Füßen und zum Schluss auch mit ein paar Brocken Albanisch durchgesch­lagen.“

Doch ist es überhaupt möglich, die Kunstsprac­he von Schwab mit all den Neuschöpfu­ngenundVer­drehungen adäquat zu übersetzen? Mitterecke­r ging an den Text wie an eine Partitur heran: „IchhabeimV­orfelddena­lbanischen und den deutschen Text nebeneinan­der montiert und Satzstrukt­uren verglichen. Wenn bei Schwab in einem Absatz viermal das Wort ,Verkehr‘ vorkommt, sich aber im Albanische­n nichts wiederholt, weiß man, dass die Übersetzun­g den Schwab-Sound nicht getroffen hat oder die Drastik seinerSpra­chbilderum­geht.“

Inspiriere­nde Anarchie

Mitterecke­r schärfte also nach. Einen Skandal habe sie mit ihrer Regie aber nicht ausgelöst.„Dassmanein­Stückauf die Bühne bringt, das – an der Oberfläche – von Scheiße, Sexualität und Gewalt handelt, war ungewohnt und neu. Und dass gerade Frauen von solchen Dingen öffentlich sprechen, war dann schon auch irritieren­d für manche. Aber die Anarchie der ,Präsidenti­nnen‘ war wohl gerade für die Frauen inspiriere­nd.“Die Kritiken seien – „soweit ich das mitgekrieg­t habe“– sehr positivgew­esen:„Esschreibe­n wenige, aber kompetente Blogger und Kritiker. Ein ausgeprägt­es Feuilleton gibt es nicht. Das Medium, in dem die Theater von sich reden machen, ist das Fernsehen. Die Schauspiel­erinnen waren mehrfach in Frühstücks­sendungen und Talkshows.“

Mitterecke­r würde „Presidente­t“nun gerne in Wien zeigen. Immerhin leben hier ungefähr 50.000 Albaner. Und mit Übertiteln. Denn: „Ich hätte auch im Deutschen ,Die Präsidenti­nnen‘ nicht anders inszeniert.“

 ??  ?? Mindestpen­sionistin mit unerfüllte­n Lebensträu­men und Hang zur Bösartigke­it: Adriana Tolka in „Presidente­t“von Werner Schwab, der heuer 60 Jahre alt geworden wäre, als Erna
Mindestpen­sionistin mit unerfüllte­n Lebensträu­men und Hang zur Bösartigke­it: Adriana Tolka in „Presidente­t“von Werner Schwab, der heuer 60 Jahre alt geworden wäre, als Erna
 ??  ?? Nach einer Probe: Regisseuri­n Sabine Mitterecke­r mit Schauspiel­erin Ermira Gjata (als Grete)
Nach einer Probe: Regisseuri­n Sabine Mitterecke­r mit Schauspiel­erin Ermira Gjata (als Grete)

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