Kurier

Ein Feminismus voller Gelächter

Kunstraum NÖ. Eine Schau präsentier­t das Werk von Martha Wilson, die Repression stets mit Humor begegnete

- VON MICHAEL HUB ER

Vielleicht haben Sie schon einmal den Begriff „Power Posing“gehört. Unter diesem Schlagwort vermarktet die US-Wissenscha­ftlerin Amy Cuddy ihre in einer Harvard-Studie erlangte Erkenntnis, wonach bestimmte, ausladende Gesten das eigeneMach­tgefühlerh­öhen, während andere, introverti­erte Haltungen es mindern. Dieser Umstand – den Cuddy jüngst mit einer FolgeStudi­e untermauer­te – hat freilich einen Geschlecht­erAspekt, denn meist sind es Männer, die sich etwa breit- beinig hinsetzen („manspreadi­ng“)oderdieFüß­eauf den Tisch legen.

Avantgardi­stin

Die Kunst hatte bei der Analyse solcher Phänomene wieder einmal die Nase vorn, und Martha Wilson (70) ist dabei als Avantgardi­stin ersten Ranges zu nennen. Der Kunstraum Niederöste­rreich richtet der US-Künstlerin nun eine kompakte, dichte Werkschau aus (bis 28. 7.). Kuratiert wurde diese von Felicitas Thun-Hohenstein, die auch für den Biennale-Beitrag einer anderen feministis­chen Avantgardi­stin, Renate Bertlmann, 2019 in Venedig zuständig ist.

Mit dem „Power Posing“begann Wilson bereits in den frühen 1970er-Jahren: Sie inszeniert­e sich etwa in einer Fotoserie abwechseln­d als Hausfrau, Kampflesbe, Hippie-Frau oder Businessla­dy, um herauszufi­nden, dass ihr keine dieser Rollen so ganz passte und ihr nichts anderes übrig blieb, als Künstlerin zu sein. Sie schlüpfte gemeinsam mit fünf anderen Frauen in die Rolle einer imaginären Luxuslady namens „Claudia“und dokumentie­rtefotogra­fisch,welcheÄsth­etik – Pelzmäntel, High Heels, lackierte Fingernäge­l – diesen Frauentyp definiert.

Organisato­rin

Wilsons Praxis erinnert manchmal an die – heute ungleich prominente­re – Cindy Sherman. Doch während deren inszeniert­e Fotos mit der Zeit immer glamouröse­r – und verkäuflic­her – wurden, war Wilson stets auch organisato­risch in der Kunstszene aktiv. Dies ist die zweite Gehirnhälf­te, auf die der Ausstellun­gstitel „The Two Halves of Martha Wilson’s Brain“anspielt.

Wilson begründete 1976 den Buchladen und Kunstraum „Franklin Furnace“, der zur einer Keimzelle der Performanc­e-Szene wurde: Wie eine Auswahl von Plakaten und Dokumenten zeigt, hatten zahlreiche große Namen – darunter Shirin Neshat, Annie Sprinkle, Barbara Kruger und auch Cindy Sherman – erste Auftritte in dem Raum oder verkehrten dort. Darbietung­en von Wilsons eigener A-cappella-Punk-Gruppe „Dis-Band“, die auf grobem Video dokumentie­rt sind, geben in der Schau einen Eindruck vom Undergroun­dFeeling jener Zeit.

Heute besteht „Franklin Furnace“als Fördereinr­ich- tung für junge Performanc­eKünstleri­nnen weiter. Und auch Wilson, die ihre Gehirnhälf­ten in unterschie­dlich gefärbten Haaren offenbart, hörte nie mit ihrem subversive­n Mummenscha­nz auf.

Die Präsidente­ngattin und -mutter Barbara Bush regte sie ebenso zu satirische­n Nachahmung­en an wie zuletzt Melania Trump oder der amtierende Präsident selbst: Wilsons Performanc­e mit Perücke fand 2017 im „öffentlich­en Raum“des TrumpTower­s statt. Der Bautycoon hatte diesen im 5. Stock eingeplant, um den Wolkenkrat­zer höher bauen zu dürfen.

 ??  ?? Präsidenti­nnengattin­en und Powerfraue­n interessie­ren die US-Künstlerin Martha Wilson (li.) seit langer Zeit. In einer ihrer jüngsten Arbeiten überblende­te sie ihr Porträt mit jenem von First Lady Melania Trump
Präsidenti­nnengattin­en und Powerfraue­n interessie­ren die US-Künstlerin Martha Wilson (li.) seit langer Zeit. In einer ihrer jüngsten Arbeiten überblende­te sie ihr Porträt mit jenem von First Lady Melania Trump

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