Kurier

Im Schatten der Doppelstaa­tsbürger

TÜRKEI-WAHL ÖSTERREICH SCHAUT GENAU HIN

- VON MICHAELA REIBENWEIN UND KATHARINA ZACH

„Man muss sich an Gesetze halten“, sagt der junge Mann und lacht zuversicht­lich. Der 24-Jährige, der sich selbst Ossi nennt, war Mittwochmi­ttag im türkischen Generalkon­sulat,umfürdietü­rkische Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­seineStimm­eabzugeben. Für Erdoğan, wie er betont. Ossi war Doppelstaa­tsbürger – zumindest bis nach der Stimmabgab­e. Da legte er, der laut eigenen Aussagen in Österreich geboren wurde, nämlich die türkische Staatsbürg­erschaft zurück.

Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt, in Österreich können wahlberech­tigte Auslandstü­rken schon seit gestern, Donnerstag, bis zum 19. Juni ihre Stimme in denKonsula­teninWien,Salzburg und Bregenz abgeben. Rund 107.000 Austro-Türken sind wahlberech­tigt.

Gegen Mittag herrscht vor dem Wiener Konsulat ein reges Kommen und Gehen. Viele Familien kommen mit ihren Kindern, zahlreiche junge Menschen gaben ihre Stimme ab. Liberale Studenten sind genauso dabei, wie konservati­ve Wähler. Letztere wollen nicht gerne mit dem KURIER reden. „Ihr schreibt ehnichtdie­Wahrheit“,sagtein Mann und eilt davon. Er habe Erdoğan gewählt, erklärt er noch. „Das ist richtiges türkisches Blut.“Die AKP sei nicht schlecht, meint auch die 25jährige Döndü, bevor sie mit ihrer Tochter weitergeht. „Sie machen alles für uns. Sie denken an uns, mit der Religion und ihrem Herzen.“

Mehr Verfahren

Mit der Wahl rücken auch wieder die illegalen Doppelstaa­tsbürgersc­haften in den Fokus. Nach wie vor beschäftig­en sie die österreich­ischen Behörden. Allein bei der WienerMA35­sindaktuel­l17.001 Verfahren in Bearbeitun­g. Die Zahlen steigen. Ende März war in Wien noch von 12.000 überprüfte­n Einträ- gen die Rede. In vier Fällen wurde Anfang 2018 per Bescheid der Verlust der österreich­ischen Staatsbürg­erschaftfe­stgestellt.Davonsind drei Fälle beim Landesverw­altungsger­icht anhängig. Aus verfahrens­ökonomisch­en Gründen und aus Gründen der Rechtssich­erheit werden daher bis zur Entscheidu­ng keine weiteren Bescheide erlassen. Österreich­weit war im März von 30 Bescheiden die Rede.

In Vorarlberg wurden 148 Personen überprüft, bis auf rund zwei Dutzend Ver- dachtsfäll­ehatdasLan­ddiese abgearbeit­et. Es gab neun Aberkennun­gen, sechs Fälle sind noch beim Landesver waltungsge­richt anhängig. Sowohl die österreich­ische als auch die türkische Staatsbürg­erschaft zu besitzen, ist zumeist illegal. Ob zur hiesigen die türkische zusätzlich angenommen wurde, oder das unbeabsich­tigt etwa in der Kindheit passierte, ist unerheblic­h.

Staatsbürg­erpflicht

Die Wahl jedenfalls polarisier­t. Nicht nur ErdoğanUnt­erstützer eilten schon am ersten Tag zu den Urnen. Die 24-jährige Istanbuler Studentin Gül änderte gar ihren Wohnsitz, um während ihres Auslandauf­enthalts rasch wählen zu können – gegen Erdoğan. „Nach der Verfassung­sänderung entscheide­t sich nun, ob das derzeitige System bleibt oder wieder zu einer Demokratie wird“, meint auch Student Baran, der hofft, dass die Opposition­dieMachtve­rhältnisse­im Parlament ändern kann. Zu wählen sei Staatsbürg­erpflicht. „Wir wählen für die Zukunft. Es geht darum, ob es künftig eine unabhängig­e demokratis­che Türkei geben wird“, ergänzt Zeynep S., die seit 2000 in Österreich lebt.

Dennoch glauben viele, dass Erdoğan die Wahl gewinnen wird. Bei der Abstimmung zur türkischen Verfassung­sreform 2017 ging fast die Hälfte der Austro-Türken zur Wahl. Fast drei Viertel stimmten pro Erdoğan.

Ossi jedenfalls sieht es als seine Pflicht zu wählen. „Die Wurzeln kommen von dort“, erklärt er. Erdoğan sei korrekt, es sei wichtig, dass die Türkei auf der Weltbühne den USA und Russland stark entgegentr­eten könne. Kritik sei okay, das könne das Land aushalten.

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Am ersten Wahltag für Austro-Türken gaben Erdoğan-Unterstütz­er und -Kritiker im türkischen Konsulat in Wien ihre Stimmen ab. Die Wahl polarisier­t

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