Brexit-Machtkampf mit dem Parlament
Sanfter oder harter EU-Ausstieg. Premierministerin May unter Druck der Pro-Europäer
Es ist eine Vielzahl an kleinen Änderungen, über die das Londoner Unterhaus gestern, Dienstag, und heute zu entscheiden hatte. Zusammengefasst aber geht es um etwas sehr Grundsätzliches: Wird der EU-Ausstieg Großbritanniens 2019 ein harter mit dem Abbruch aller Brücken nach Europa oder ein sanfter, bei dem vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen weitgehend ungestört fortgeführt werden?
Die konservative Regierungspartei von Premierministerin Theresa May ist in dieser Frage tief gespalten. Für die Pro-Europäer unter den Konservativen sind die Zollfreiheit und der europäische Binnenmarkt ohnehin das Wichtigste an der EU. Für den ungehinderten Zugang zu den EU-Märkten sind sie auch bereit, Kompromisse einzugehen. Die „Brexiteers“dagegen, also die Vertreter eines harten EU-Ausstiegs, wollen die Möglichkeiten Großbritanniens, neue Partnerschaften und Abkommen weltweit zu schließen und eigenständig Steuer- oder Finanzpolitik zu betreiben, nicht von EU-Regeln beschränken lassen.
Die Konfrontation zwischen den beiden Gruppen hat im Oberhaus des Parlaments, also im House of Lords, begonnen. Dort sitzen mehrheitlich Pro-Europäer. Nachdem das Unterhaus zu Jahresbeginn endlich das ohnehin heftig umstrittene Gesetz zum EUAustritt verabschiedet hatte, war das Oberhaus an der Reihe. Dort beschloss man die erwähnte Vielzahl an Änderungen, die unterm Strich vor allem eines bewirken sollten: dem Parlament mehr Mitspracherecht über den EU-Austritt zu geben. Die erste Hürde nahm May gestern, die Mehrheit votierte für die Änderungen. Heute folgt Teil zwei.
Ist das Abkommen mit der EU über die Bedingungen des Austritts einmal ausverhandelt, kann das Parlament in London darüber abstimmen. War diese Abstimmung anfangs eher Formsache, würde sie durch die nun diskutierten Änderungen zu einer grundsätzlichen Entscheidung werden. Das Parlament könnte also durch seine Ablehnung des Abkommens die Regierung zu völlig neuen Verhandlungen mit der EU zwingen.
Während dieser voraussichtlich endlosen Neuverhandlungen würden die EURegelungen über Zollfreiheit und Binnenmarkt in Großbritannien aufrecht bleiben. Eine Schreckensvorstellung für die „Brexiteers“. Weder sie noch die Pro-Europäer dürften sich bei den Abstimmungen vollständig durchsetzen. Eines aber ist klar: Großbritannien findet bei den Brexit-Verhandlungen immer weniger eine klare Linie.