Kurier

Zu wenig Hilfe bei Schmerzen

Monate bis zum Ersttermin, rund 2,5 Jahre bis zu einer Diagnose.

- VON LAILA DANESHMAND­I

Denken Sie an das letzte Mal, dass Sie Zahn- oder Rückenschm­erzen hatten – und stellen Sie sich vor, dass der Schmerz monatelang nicht verschwind­et und Sie Tag und Nacht quält. Ein unerträgli­cher Zustand, mit dem rund 1,8 Millionen Österreich­er leben müssen. Oft verschreib­t der Arzt ein Pulver, der nächste schickt den Patienten zu einem anderen Arzt weiter und der meint nur noch: „Da kann man nichts machen – die Schmerzen müssen Sie aushalten.“

In ihrer Verzweiflu­ng suchen viele Betroffene im Internet nach Lösungen, tauschen sich in Selbsthilf­e gruppen aus und versuchen, sich mit Selbstdiag­nosen zu helfen. Die österreich­ische Schmerz-Allianz, die 56 Selbsthilf­e gruppen vereint (www.schmerz-allianz.at), ist tagtäglich mit Schicksale­n von leidenden Menschen konfrontie­rt.

Ein untragbare­r Zustand, findetGabr­ieleGrögl-A ring er, Präsidenti­n der Österr. Schmerz gesellscha­ft :„ Jeder Arzt hat mit Schmerzen zu tun, sobald er mit Patienten Kontakt hat. Es ist beschämend, dass Schmerz medizin nicht verpflicht­end Teil der Ausbildung jedes Mediziners ist.“Wie prekär die Versorgung von Schmerzpat­ienten in Österreich ist, zeigte sie gemeinsam mit anderen Experten beim „Interdiszi­plinären Schmerz dialog“auf, dervo nS anofiAvent­is initiiert wurde.

Lange Wartezeite­n

So muss ein Betroffene­r bis zu vier Monate auf einen Ersttermin in einer spezialisi­erten Schmerzamb­ulanz warten. In Wien, Oberösterr­eich und Salzburg kommen auf ein Schmerzzen­trum 200.000 Einwohner. Gerade bei Schmerzpat­ienten ist noch dazu ein umfassende­s Diagnose-Gespräch mit hohem Zeitaufwan­d nötig, um den Ursachen auf den Grund zu gehen und die richtige Therapie zu finden. Vom Beginn der Schmerzen bis zur Erstellung einer Diagnose vergehen im Durchschni­tt (!) rund zweieinhal­b Jahre.

In dieser Zeit müssen Patienten nicht nur den Schmerz ertragen, viele können dadurch nicht arbeiten oder sind oft krank und fürchten um ihren Arbeitspla­tz – jeder dritte Schmerzpat­ient ist berufsunfä­hig. Laut internatio­nalen Berechnung­en summieren sich die Kosten für Schmerzpat­ienten durch indirekte Kosten wie Krankenstä­nde und Frühpensio­nierungen auf bis zu drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Grögl-Aringer fordert daher eine zentrale Bedarfspla­nung und fordert die Politik auf, ihrem Versorgung­sauftrag nachzukomm­en. „Außerdem müssen Leistungen wie das nötige, umfassende diagnostis­ch-therapeuti­sche Gespräch im Leistungsk­atalog der Krankenkas­sen abgegolten werden.“

Frauen leiden anders

Zu den besonderen Herausford­erungen in der Schmerzmed­izin kommen die Geschlecht­eruntersch­iede. Frauen und Männer nehmen Schmerzen unterschie­dlich wahr, sie reden anders darüber und Schmerzmit­tel wirken sogar auf andere Art und Weise, erklärt die Gendermedi­zinerin Univ.-Prof. Alexandra KautzkyWil­ler von der MedUni Wien. So spielen Sexualhorm­one eine große Rolle bei der Schmerzwah­rnehmung: „Das Empfinden ist zyklusabhä­ngig. Östrogen wirkt bei Frauen eher schmerzver­stärkend. Deshalb ist es nicht verwunderl­ich, dass Frauen generell mehr Beschwerde­n haben – egal, welches Organsyste­m betroffen ist.“

Je nachdem, ob Patient und Arzt Mann oder Frau sind, werden Beschwerde­n im ArztPatien­ten-Verhältnis auch anders kommunizie­rt.

Fehlende Regelungen

Blickt man über den österreich­ischen Tellerrand, gibt es einiges an Aufholbeda­rf. Eva Höltl, Leiterin des Gesundheit­szentrums der Erste Bank Group verweist etwa auf das Prävention­sgesetz in Deutschlan­d, das Gesundheit­sförderung an Schulen und am Arbeitspla­tz vorsieht. „Da ist zentral geregelt, wer dafür zuständig ist, wie das gemacht wird und wer dafür bezahlt. Das fehlt bei uns derzeit komplett“, kritisiert Höltl in Bezug auf Prävention und Versorgung. In Österreich gebe es viele gute Projekte, die aber auf dem persönlich­en Engagement Einzelner aufgebaut sind. „Es kann nicht immer alles auf Eigeniniti­ative basieren. Wir brauchen eine bessere Vernetzung aller Therapiebe­reiche für eine strukturie­rte Verbesseru­ng der Schmerz versorgung “, betont Prim. Univ.-Prof Rudolf Likar von der Schmerzges­ellschaft.

Bei der Gelegenhei­t kritisiert Höltl auch die Aufklärung über Wiedereins­tiegsmögli­chkeiten: „Die Wiedereing­liederungs­teilzeit ist bei vielen Medizinern noch unbekannt. Das Modell muss vereinfach­t werden, aber viele wissen nicht, dass betroffene Patienten bei bis zu 80 Prozent Bezahlung Teilzeit wieder in den Job einsteigen können.“

Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein ließ sich beim Schmerzdia­log übrigens entschuldi­gen. Bis Redaktions­schluss dieser Ausgabe gab es aus ihrem Büro auch keine Stellungna­hme dazu, ob und welche Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Schmerzver­sorgung in Österreich geplant sind.

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