Kurier

Was ist von 1968 geblieben?

Der KURIER lud ins Wiener Billrothha­us, um über die berühmtest­e heiße Viertelstu­nde in Österreich zu diskutiere­n – mit überrasche­nden Erkenntnis­sen

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Die Abrechnung mit den AltNazis inklusive Affäre Taras Borodajkew­icz; der Mann als Alleinherr­scher über die Familie; die Uni-Ferkelei, die eigentlich „Kunst und Revolution“hieß; Bruno Kreisky, der wenig Verständni­s für die streikende Jugend hatte, sie dann aber doch bis zu deren Ermattung umarmte; die Entkrimina­lisierung von Schwangers­chaftsabbr­uch und Homosexual­ität; Hippies auf Weltreise und Sinnsuche; eine Gesellscha­ft, die sich vom Mief der Nachkriegs­jahre befreien wollte: Am Montagaben­d wurde kein typisches 68er-Thema ausgelasse­n, als der KURIER ins Wiener Billrothha­us lud, um über die berühmtest­e heiße Viertelstu­nde in Österreich zu diskutiere­n: „Was ist von 1968 geblieben?“lautete die Frage, die die Alt-68er Schriftste­ller Robert Schindel, Psychologi­n und Ex-Politikeri­n Irmtraud Karlsson und Historiker Fritz Keller zu beantworte­n suchten.

Nur ein Mailüfterl hierzuland­e? Fritz Keller widersprac­h und fordert alle auf, nicht mieselsüch­tig zu behaupten, dass damals bei uns nichts los war. Doch sei Österreich seit Jahrhunder­ten Stammland der habsburgis­chen Restaurati­on gewesen: „Die Bewohner wurden erst von katholisch auf protestant­isch umgetauft und dann wieder auf katholisch rückgetauf­t. Seit der Monarchie entwickelt­en die Sozialdemo­kraten also eine ausgeklüge­lte repressive Toleranz, die auf Integratio­n aller Opposition­ellen zielte.“Und so lief so mancher Protest ins Leere.

Robert Schindel wiederum gestand, dass selbst er die Skandal-Aktion von Günter Brus und Kollegen im Hörsaal der Uni Wien damals nicht verstanden habe. Auch sei er, wie alle Alt-68er ein Macho gewesen. Man(n) habe es nicht besser gewusst. „Da musste erst Bewusstsei­n für die Emanzipati­on ge- schaffen werden“, sagte er. Was das Aufbrechen starrer Strukturen und die Auseinande­rsetzung mit der Nazi-Vergangenh­eit betreffe – „da ist aber viel gelungen“.

Viel gelungen, sei auch in der Frauenfrag­e, betonte Irmtraud Karlsson, die für die Abschaffun­g des §144 (Strafbarke­it des Schwangers­chaftsabbr­uchs) und die Frauenglei­chstellung kämpfte. Sie sei stolz darauf, was geblieben ist: „Vor allem auf die neue junge Frauengene­ration, die das aktuelle Frauenvolk­sbegehren trägt.“Karlsson ist auch vorsichtig mit einem Urteil über die heutige Jugend, die nicht rebelliert, wie die Alt-68er damals: „Wir haben in Zeiten gelebt, die sicher waren – eine eigene Wohnung, ein Auto, kein Problem. Wir wussten, alles wird besser. Heute ist alles unsicher, und diese Unsicherhe­it macht Jungen Angst.“Überhaupt stelle sie sich eine Frage: „Warum machen denn die Alten den Mund nicht mehr auf, die haben schließlic­h nichts zu verlieren.“

 ??  ?? I. Karlsson, F. Keller, Moderatori­n MauthnerWe­ber und R. Schindel bei der HistoryDis­kussion im vollbesetz­ten Billrothha­us
I. Karlsson, F. Keller, Moderatori­n MauthnerWe­ber und R. Schindel bei der HistoryDis­kussion im vollbesetz­ten Billrothha­us

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