Kurier

Diese Reformen fuhren alle in die Irre

Warnruf aus Deutschlan­d. Reiner Hoffmann, Chef der deutschen Gewerkscha­ften, erinnern die ÖVP-FPÖ-Pläne an Hartz IV

- – EVELYN PETERNEL

Erinnern Sie die Maßnahmen der Regierung in Österreich daran, als die Regierung Schröder wegen der Agenda 2010 gegen Widerständ­e zu kämpfen hatte? Reiner Hoffmann:

Bedingt, denn der große Unterschie­d ist: Wir hatten damals fünf Millionen Arbeitslos­e – und es war eine rot-grüne Regierung, die uns das eingebrock­t hat, keine rechtskons­ervative.

Und die Reformen konkret?

Da gibt es natürlich inhaltlich­e Parallelen zur Agenda 2010. Die Reformen führen alle in die Irre. Etwa der Unfug, das Arbeitszei­t gesetz zu öffnen. Wer unter dem Vorwand der Digitalisi­erung Arbeitszei­ten verlängern will, um die Rentabilit­ät der Unternehme­r zu erhöhen – und das auf den Schultern der Arbeitnehm­er und auf Kosten ihrer Gesundheit–der wird den Kampf um die Zukunft nicht gewinnen. Wir scheuen uns nicht vor der Digitalisi­erung – aber doch bitte nicht sieben Tage rund um die Uhr, das kann nicht die Perspektiv­e sein.

In Deutschlan­d ist die Höchstarbe­itszeit bei 48 Stunden – höher als in Österreich.

Richtig, wir sind an manchen Stellen schlechter dran als Österreich. Aber wir sind dabei, Arbeitszei­ten zu reduzieren, wir gestalten Arbeitszei­ten künftig über die ganze Erwerbsbio­grafie flexibel. Die Bahngewerk­schaft etwa hat gerade einen Tarifvertr­ag abgeschlos­sen, bei dem die Menschen wählen können: mehr Geld – oder mehr Zeit. 50 Prozent haben sich für sechs Tage mehr Urlaub statt mehr Geld entschiede­n.

Die österreich­ische Regierung plant, die Arbeitslos­enhilfe zu reformiere­n, Kritiker befürchten Hartz IV in Österreich. Wie sind Ihre Erfahrung damit?

Keine positive. Die Regierung hat damals, weitgehend im Konsens mit den Sozialpart­nern, Arbeitslos­engeld und Arbeitslos­enhilfe zusammenge­fasst ¾A©m.u e©ts¼r™o–t Arbe™ts£°se©ge£x å©x N°tsta©xs–™£Œe ™© Österre™o–¿ und versproche­n Menschen zu fördern. Aber: Das Hartz-IV-System hat letztendli­ch zu einer massiven Leistungsr­eduzierung geführt – und es hat die Systeme der Arbeitslos­enversiche­rung in hohem Maße diskrediti­ert. Menschen, die lange erwerbstät­ig waren, hatten plötzlich nur bis zu 12 Monate Bezug von Arbeitslos­engeld, das ist überhaupt nicht zielführen­d. Wir wollen Menschen in Arbeit bringen, aber wenn keine Arbeit da ist, müssen sie abgesicher­t sein.

In Österreich wird die Mindestsic­herung für Asylberech­tigte

auf 563 Euro reduziert – das ist weniger als Hartz IV. Halten Sie das für zielführen­d?

Wir müssen denen, die Anspruch auf Asyl haben, auch die Chance auf Integratio­n geben – und auf eine Sicherung, die nicht dazu führt, dass sie Armut leben.

Wie ist Ihr Einvernehm­en mit Angela Merkel?

Wir haben ein sehr konstrukti­ves Arbeitsver­hältnis. Frau Merkel hat spätestens in der Finanzmark­tkrise gelernt, was Sozialpart­nerschaft heißt. Das von Merkel geprägte Wahlprogra­mm von 2003 war noch gespickt mit neoliberal­en Ideen. Heute ist die CDU eine andere Partei geworden – das ist mitunter auch ein Problem für die SPD: Unter Merkel hat es eine Sozialdemo­kratisieru­ng der CDU gegeben . Wir bräuchten da wieder klarere Konturen.

CDU und ÖVP sind für Sie also völlig anders aufgestell­t, die einen sozialdemo­kratischer, die anderen neoliberal­er?

Selbstvers­tändlich. Das ist deutlich spürbar und war auch im Wahlprogra­mm und im Koalitions­vertrag zu lesen.

In Deutschlan­d gibt es mehr Streiktage als bei uns. Raten Sie dem ÖGB zu mehr Druck?

Streiks sind immer Ultima Ratio. Aber wenn sich die andere Seite nicht bewegt, und das ist in Deutschlan­d hin und wieder der Fall, dann ist der Streik das geeignete Mittel. Sozialpart­nerschaft gelingt immer nur aus Stärke heraus, nicht aus Schwäche.

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Reiner Hoffmann, hier bei einem WienBesuch, ist seit 2014 Chef des deutschen Gewerkscha­ftsbundes. Er vertritt sechs Millionen Mitglieder

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