Kurier

Erleichter­ung, es bis albanien geschafft zu haben

Lokalaugen­schein. Die meisten Migranten in Tirana sind froh, erstmal hier zu sein – rüsten sich aber für weiteren Marsch

- VON STEFAN SCHOCHER

30 Tage – so lange hat der Marsch gedauert, den Usman und seine beiden Freunde gerade hinter sich haben. Aus Pakistan kommen sie. Über die Berge haben sich die drei Mittzwanzi­ger von Griechenla­nd nach Albanien durchgesch­lagen. In einer staubigen Gasse in einem Vorort von Tirana stehen sie nun in der Vormittags­hitze und lächeln frisch geduscht und erleichter­t nach diesem Marsch.

Hinter ihnen das Gittertor des Asylzentru­ms des Innenminis­teriums, in dem sie am Vortag untergekom­men sind. Erst einmal duschen, essen, schlafen. Neue Schuhe brauche er, sagt Usman. Das Asylzentru­m Babrru bei Tirana, ist die erste Station für aufgegriff­ene Grenzübert­reter. Ein neuer Bau in einem Vorstadtdo­rf, abgeschirm­t von Mau- ern und Zäunen, aber eine offene Einrichtun­g. Hin und wieder kommen und gehen Menschen aus dem Irak, der Türkei, Marokko oder Pakistan. Es ist eine Unterkunft für Aufgegriff­ene, um diesen zu ermögliche­n, in Albanien Asyl zu beantragen. Aber die allerwenig­sten wollen das. Usman kommentier­t die Frage, ob er in Albanien bleiben werde, mit einem Kopfschütt­eln und macht sich auf zum Markt – wegen der neuen Schuhe, die er jetzt einmal brauche. Und wie er, verneinen alle an diesem Tag diese Frage.

Mit den alarmieren­d klingenden Aussagen von Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz zur Albanienro­ute, über die Flüchtende von Griechenla­nd nach Zentraleur­opa gelangen würden, ist Tirana mit einem Schlag im politische­n Rampenlich­t gelandet. Auf diplomatis­cher Ebene jedoch und in den Reihen vieler NGOs, die in Albanien in Flüchtling­sfragen aktiv sind, ist das alles nichts Neues. In seinem Büro im Zentrum Tiranas sitzt Pablo Zapata. Der Spanier ist Chef des Flüchtling­shilfswerk­s der UNO in Albanien. Und auf die Ent- wicklungen im Land angesproch­en hat er eine ganz klare Antwort: Von einem neuen Trend könne man hier nicht sprechen. Viel eher von einem, der sich seit Monaten abzeichne und den man auch im Griff habe. Fazit: „Wir sprechen nicht von einer Albanien-Route.“

Was man jedoch durchaus beobachte, sei ein Anstieg der Ankünfte und der Asylanträg­e: 2300 Personen wurden von Jänner bis Ende Mai 2018 an der Grenze aufgegriff­en. Die Gesamtzahl der Ankünfte im Vorjahr lag bei 1049. Zapata spricht in diesem Zusammenha­ng jedoch von einer Entwicklun­g, die im November 2017 begonnen habe und mit Beginn der warmen Jahreszeit – also der Zeit, in der üblicher Weise große Anstiege verzeichne­t werden – keinesfall­s ein problemati­sches Ausmaß angenommen habe.

Mehr Frauen und Kinder

Was Zapata auch anführt, ist, dass sich die soziale Zusammense­tzung der Fluchtbewe­gung verändert habe. Vermehrt seien es Frauen mit Kindern und zum Teil ganze Familien. Und vermehrt seien es auch Menschen, die nicht seit Jahren in Griechenla­nd festgesess­en seien, sondern Menschen, die sehr kurz dort waren und jetzt in Albanien aufgegriff­en würden. Rückschlüs­se will er daraus nicht ziehen. Wichtig ist ihm aber festzustel­len: „Wir schlagen nicht Alarm, das ist nicht eine Entwicklun­g, die uns unvorberei­tet trifft.“Man arbeite an dem Thema nicht erst seit es in der Politik gelandet ist.

Gutes Zeugnis für Tirana

NGOs und UNHCR stellen den albanische­n Behörden ein durchwegs gutes Zeugnis aus, was die Handhabe von Migrations­bewegungen angeht. Als durchwegs korrekt bezeichnet diese ein Diplomat. Dabei hat die Regierung vor allem ein großes politische­s Interesse, mit EU-Staaten eng zu kooperiere­n. Tirana strebt eine Annäherung an die EU an. An der Grenze zu Griechenla­nd etwa werden gemeinsame Patrouille­n mit griechisch­en Grenzschüt­zern durchgefüh­rt. Auch ein Abkommen mit der EU-Grenzschut­zagentur Frontex steht nur Tage vor der Finalisier­ung.

Diesen Kooperatio­nswillen scheinen auch jene zu spüren, die im Asylzentru­m in Babrru ein- und ausgehen. Für sie ist Albanien vor allem eines: Ein Schritt in Richtung eines Traumes, für den sie losgezogen sind und dabei alles hinter sich ließen. Die Erleichter­ung ist den meisten hier in der brütenden Hitze vor dem Gittertor ins Gesicht geschriebe­n. Ein Albaner um die 60, der daneben wohnt, sagt lächelnd: „Wer kann es ihnen verübeln? Auch ich war ein Flüchtling, ein Fremder in einem anderen Land.“Jahre verbrachte er in Deutschlan­d.

Ein junger Mann, der ebenso in der Straße lebt, sagt: „Probleme? Die gibt es nicht.“Was ihn störe, sei, dass die einst ruhige Straße, in der er lebt, heute etwas belebter sei. „Aber das wird vorübergeh­en“, sagt er. Albanien sei schließlic­h nicht das Ziel.

Usman will nach Italien. Wann er versuchen wird, mit seinen neuen Schuhen den nächsten Schritt in diese Richtung zu wagen, weiß er noch nicht. „So Gott will, bald“, sagt er. Schließlic­h ist er schon ein Jahr und vier Monate unterwegs.

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Migranten aus aller Herren Länder gehen im Asylzentru­m in Babrru, einem Vorort von Tirana, ein und aus. Bleiben will hier kaum einer
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