„Verpulvern Wahnsinns-Kohle“
Frankreich. Macron sorgt mit Attacke gegen „wirkungslose“Sozialhilfe für politische Empörung
Mit einem ausgefuchsten Einfalls etzte sich E mm anuelMacronge stern in Szene. Seine PR-Leiterin, die Franko-Senegalesin Sibeth Ndiaye, hatte in den Morgenstunden via Twitter ein Video von einer – vorgeblich – rein internen Sitzung veröffentlicht. Darin sah man, wie sich der Staatschef hemdsärmelig, heftig gestikulierend und mit kruden Slang-Wörtern auf eine Rede vorbereitete, die er anschließend vordem Kongress der genossenschaftlichen Zusatz-Krank versicherungen,einer wichtigen Institution Frankreichs, halten sollte.
Der Auftritt hätte wohl niemanden vom Stockerl gehaut. Aber das halboffizielle Video machte Furore und brachte die Opposition zum Toben – was wohl beabsichtigt war. „Wir pulvern eine Wahnsinns-Kohle in die Sozialstützen, aber die Leute kommen aus der Armut nicht raus“, sagte der Präsident. „Das ist Irrsinn. Man muss das Zeug so machen, dass alle Verantwortung übernehmen.“
Zuletzt hatte sich der Ruf von Macron als „Präsident der Super-Reichen“(wie ihn sein sozialistischer Vorgänger Francois Hollande bezeichnet) verfestigt. Bei Umfragen verzeichnete Macron zwar nur einen moderaten Popularitätsrück gang( im Vergleich zu seinen Vorgängern ), aber es kam zu einer radikalen Umschichtung in seinem Unterstütz er potenzial: Weg von den ursprünglich eher linksliberalen und jüngeren Sympathisanten, hin zu älteren und konservativen Wählern.
Tatsächlich hat Macron durch den Abbau von Steuern für Unternehmer und Spitzenverdiener sowie durch die Liberalisierung des Arbeitsrechts Maßnahmen durchgezogen, die einstige bürgerliche Präsidenten gerne unternommen hätten, aber nicht gewagt hatten.
Jetzt Rentenreform
Jetzt hat er auch die Kraftprobe mit den Gewerkschaften um die Reform der Bahn so gut wie gewonnen: Der im April begonnene Streik (immer wieder zwei von fünf Tagen) schwächelt seinem Ende entgegen. Damit ist der Weg frei für die nächste Fundamentalreform: Die Vereinheitlichung der bereichsspezifischen Rentensysteme, die sich zum Teil noch unterscheiden.
Macrons Initiativen tragen Früchte: Bei einer jüngsten internationalen Umfrage unter Spitzenunternehmern übertrumpfte Paris in Sachen Attraktivität erstmals London, wobei der Brexit natürlich ins Gewicht fällt. Bei der Zahl der neuen Industrieansiedlungen durch ausländische Investoren hat Frankreich 2017 Großbritannien und Deutschland übertroffen.
„Obergrenzen für den Erfolg haben nie das Problem der Armut gelöst“, meint Macron. Um den Menschen aus der Armutsfalle herauszuhelfen, sei das „ständige Mehr an öffentlichen Ausgaben“nicht sinnvoll, sondern gezielte„ qualitative Maßnahmen“seien nötig. Als Beispiel nannte er die bereits umgesetzte Halbierung der Klassen schüler zahl in Problemschulen.
Jetzt komme die komplette Kassen-Refundierung von Brillen, Gehörapparaten und Zahnprothesen – wobei Macron bei seinem VideoAuftritt die entsprechenden Körperteile mit Handbewegungen kennzeichnete. Um solche treffsicheren Hilfen für die Schwächsten zu finanzieren, müssten allen anderen, „die es können“, zur „Emanzipation durch Arbeit“zurückgeholfen werden – durch Beratung, Weiterbildung, aber auch durch das Einsparen von „wirkungslosen“Stützen.
Zollfreiheit nach Brexit?
Mit Zusagen an die Pro-Europäer hatte Premierministerin May vorerst die Mehrheit für sich gewinnen können. Sie versprach, dass das Parlament eine „aussagekräftige“Entscheidung über das Abkommen treffen könne. Was dagegen die Vertreter eines harten Brexits besonders empört, sind Pläne, nach einem etwaigen Scheitern der Verhandlungen mit der EU weiterhin in der EU-Zollunion oder sogar im EU-Binnenmarkt zu bleiben. Die „Brexiteers“sehen darin einen Versuch, Großbritannien quasi unter der Hand in der EU zu belassen. Die Labour-Opposition attackiert zwar die Linie der Premierministerin, ist aber in der Brexit-Frage ebenfalls zerstritten.
Neben dem Streit zwischen Vertretern des harten und des sanften Brexit stiegen auch die Vertreter Schottlands im Parlament auf die Barrikaden. Die in Schottland regierende SNP, die ja grundsätzlich los von Großbritannien will, fürchtet eine Kürzung der schottischen Autonomierechte nach dem Brexit. Ihre Abgeordneten verließen daher am Mittwoch aus Protest das Parlament.