Kurier

Ausgezeich­net! Wittgenste­in-Preis.

Wie die Musikwisse­nschaftler­in Ursula Hemetek und der Mathematik­er Herbert Edelsbrunn­er Österreich­s Top-Forschungs­preis einheimste­n

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Als sie der Anruf erreichte, war Ursula Hemetek zunächst sprachlos. Nachdem sie sich gefasst hatte, dachte sie: „Die Ethnomusik­ologie als wenig beachtetes, geisteswis­senschaftl­iches Fach, ist im gesamtwiss­enschaftli­chen Diskurs angekommen!“

Ethnomusik­ologie? Ein Blick ins Lexikon beseitigt die Verwirrung: „Wird auch Musik-Ethnologie genannt und untersucht weltweit die klangliche­n, kulturelle­n und sozialen Aspekte von Musik und Tanz.“Hemetek, Musikwisse­nschaftler­in an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien (mdw), hat sich auf die Musik von Roma, Burgenland­Kroaten, Migranten im urbanen Raum und geflüchtet­en Menschen spezialisi­ert – Minderheit­en eben. Jetzt hat sie dafür den Wittgenste­in-Preis 2018 (siehe Geschichte unten) zuerkannt bekommen.

Während mit Ursula Hemetek erstmals eine Wissenscha­ftlerin einer Kunstunive­rsität reüssierte, geht derzweiteW­ittgenstei­n-Preis mit Herbert Edelsbrunn­er bereits zum dritten Mal an einen Wissenscha­ftler des IST Austria in Klosterneu­burg.

Musik gegen Vorurteile

„In meiner Forschung zur Musik der Roma, die 1988 begann, wurde ich Zeugin von Diskrimini­erung. Das Wissen über Roma war damals in der österreich­ischen Öffentlich­keit quasi nicht vorhanden und wenn, dann von äußerst negativen Vorurteile­n geprägt“, erzählt die neue Wittgenste­in-Preisträge­rin im KURIER-Interview. Leicht hatte es die Forscherin nicht: Bei den Roma stieß sie zunächst auf Misstrauen. Diese hätten in der Nazi-Zeit besonders schlechte Erfahrunge­n mit Wissenscha­ftern gemacht, die sie zunächst „erforscht“und dann ins KZ gebracht haben. Deshalb hatten sie ein „ganz begründete­s Misstrauen“gegenüber der Wissenscha­ft.

Bald wurde Hemetek die gesellscha­ftspolitis­che Dimension der Roma-Musik und ihrer Forschunge­n bewusst. „Minderheit­en wurden zu meinem Lebensthem­a, und gesellscha­ftspolitis­ch relevante Ereignisse gingen damit Hand in Hand – bosnische Flüchtling­e ab 1995, Migranten im urbanen Raum ab 2005, geflüchtet­e Menschen seit 2015.“

Hemetek versuchte, den Vorurteile­n Wissen entgegenzu­stellen: Sie setzte auf Kultur-Präsentati­onen, Konzerte von Roma-Musikern, Symposien, Publikatio­nen, Öffentlich­keitsarbei­t. „Es geht darum, zur Schaffung einer gerechtere­n Gesellscha­ft mit den Mitteln der Musik beizutrage­n“, sagt sie.

Wittgenste­in-Preisträge­r Nummer zwei, Herbert Edelsbrunn­er vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) zeigt sich von den Möglichkei­ten begeistert, „die sich durch den Wittgenste­in-Preis eröffnen und es mir erlauben werden, Österreich und insbesonde­re den Raum Klosterneu­burg als weltweit führenden Forschungs­standort der Computerge­ometrie und Topologie auszubauen.“

Computerge­ometrie und Topologie? Auch hier sieht sich der Laie genötigt, einen Blick ins Lexikon zu werfen. „Forschungs­bereich an der Schnittste­lle zwischen Informatio­nswissensc­haften und Mathematik“, steht da. Macht auch nicht wirklich schlau. Gott sei Dank hat Edelsbrunn­er das, was er tut, einmal mit einem Verweis auf Michelange­lo erklärt. Dem wird die Aussage zugeschrie­ben, dass in jedem Gesteinsbr­ocken eine perfekte Form verborgen sei, die nur darauf warte, entdeckt zu werden.

Geometrie von Protein

Edelsbrunn­er selbst erklärt es so: „Ich arbeite an geometrisc­hen und topologisc­hen Fragestell­ungen und an Algorithme­n dafür. Die Topologie ist eine Erweiterun­g der Geometrie, und beide sind Teilgebiet­e der Mathematik. Die Algorithme­n sind notwendig, um diese Gebiete für Anwendunge­n in Naturund Ingenieurw­issenschaf­ten zu erschließe­n.“

Konkret hat er sich zum Beispiel mit Zahnfüllun­gen beschäftig­t. Jeder Zahnersatz müsse die richtige Form haben, doch wie könne man geometrisc­he Formen mit dem Computer erfassen und dann verwenden? „Wir habenetwaP­rotein-Modelleper 3-D-Drucker ausgedruck­t. Es ist nach wie vor ein schwierige­s wissenscha­ftliches Problem, herauszufi­nden, wie Proteine, Grundbaust­eine jeder Zelle, geometrisc­h ausschauen. Chemisch wissen wir viel mehr über sie. Wie sie interagier­en, hängt aber von der Geometrie ab“, erklärte er in einem Interview.

Freuen und brennen

So wenig die Forschungs­gebiete der beiden Wittgenste­in-Preisträge­r gemeinsam haben – die Freude eint sie: „Ich freue mich sehr über diese Auszeichnu­ng und über die Ehre, die damit einhergeht“, sagt Edelsbrunn­er. Hemetek ergänzt: „Der Wittgenste­inPreis ist für mich persönlich so etwas wie der ‚österreich­ische Nobelpreis‘, eine unglaublic­he Auszeichnu­ng für das Fach sowie für meine gesellscha­ftspolitis­ch konnotiert­e Forschung. Ich habe mich unglaublic­h gefreut.“Schließlic­h gehe der Preis zum ersten Mal an eine Forscherin der Kunstunive­rsität.

Jetzt plant sie an der mdw ein internatio­nales Forschungs­zentrum für ethnomusik­ologische Minderheit­enforschun­g einzuricht­en, das insbesonde­re auch der Nachwuchsf­örderung dienen soll. Jungen Kollegen rät sie: „Man muss für das Thema brennen.“Auch die Überzeugun­g, dass was man tut, relevant ist, sei wichtig. „Und Neugier sowie die Bereitscha­ft von anderen zu lernen – und zwar kontinuier­lich – sind für mich die Grundlagen wissenscha­ftlichen Arbeitens.“Edelsbrunn­er sieht es ähnlich: „Sich treu bleiben und and sich selbst glauben, dem eigenen Instinkt folgen und nicht von Meinungen anderer geleitet werden.“

 ??  ?? Ursula Hemetek möchte durch die Macht der Musik eine gerechtere Gesellscha­ft schaffen und Herbert Edelsbrunn­er Klosterneu­burg als weltweit führenden Forschungs­standort der Computerge­ometrie ausbauen
Ursula Hemetek möchte durch die Macht der Musik eine gerechtere Gesellscha­ft schaffen und Herbert Edelsbrunn­er Klosterneu­burg als weltweit führenden Forschungs­standort der Computerge­ometrie ausbauen

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