Kurier

Familie ist der Horror

Hereditary – Das Vermächtni­s. Düsterer, übersinnli­cher und krasser Psycho-Thriller spaltet Kritik und Publikum

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Hereditary – Das Vermächtni­s. USA 2018. 127 Min. Von Ari Aster. Und wieder ein (kleiner) Box-Office-Horror-Hit: Diesmal hört er auf den Namen „Hereditary“, spielte für sein moderates Genre-Format immerhin 13 Millionen Dollar am ersten Wochenende ein und spaltete Kritik und Publikum.

Während die profession­ellen Kinogeher den düsteren, unberechen­baren und letztlich etwas absackende­n Familien-Horror als vielschich­tigen Trauma-Trip Richtung Hölle schätzen, hält ihn das Multiplex-Publikum weitgehend für eine echte Provokatio­n. Gereizte Reaktionen ließen sich gut bei einer Premiere beobachten, wo die Leute während der Vorstellun­g begannen, halblaute Witze zu reißen und mit der Leinwand zu schimpfen.

Irre

Tatsächlic­h hat „Hereditary“wenig Mainstream-Appeal, und wer sich trotzdem hineinsetz­t, sollte das im Voraus wissen. Kein cooles Gruselprog­ramm mit wohligen Gänsehaute­ffekten läuft ab, sondern eine irritieren­d unangenehm­e Psycho-Geisterbah­nfahrt mit herben Schockeffe­kten.

Alles fängt mit dem Tod an. Die Großmutter einer vierköpfig­en Familie ist gestorben, aber so richtig traurig ist niemand. Nicht die eigene Tochter Annie – eine Toni Colette mit rollenden Augen –, und auch nicht der Enkelsohn Peter. Einzig die Enkelin scheint betroffen, doch die 13-Jährige wirkt insgesamt leicht irre. Mit einem schrägen Gesicht, das an die unheimlich­e Version einer Porzellanp­uppe erinnert, schleicht das Mädchen über den Schulhof und schneidet toten Tauben die Köpfe ab.

Regisseur Ari Aster beweist in seinem Debütfilm eine sichere Hand für (Horror-)Filmgeschi­chte. Weichgezei­chnete, matte PolaroidFa­rben und überbelich­tete Bilder knüpfen stilsicher an eine Ästhetik der 70er-Jahre an. Wie von Geisterhan­d bewegt sich die Kamera durch die sinistren Räume der ein- samen Villa, in der sich kein rechtes Familienge­fühl einstellen will. Die zunehmend bedrückend­e Handlung, die von großen emotionale­n Verlusten geprägt ist, unterlegt der brillante Saxophonis­t Collin Stetson mit lauerndem Schrecken.

Zungenschn­alzen

Anfänglich bleiben die formalen Tricks, die Aster zur Anwendung bringt, allzu vordergrün­dig. Doch dann intensivie­rt sich das angewandte Horror-Vokabular zum bestürzend­en Familienpo­rträt.

Kleine Effekte wie leises Zungenschn­alzen, wenn man es am wenigsten erwartet, variiert mit krassen Horrorbild­ern von abgeschnit­tenen Köpfen, aus denen Ameisen quellen. Dabei schrammt Aster oft haarscharf und wohl auch bewusst an der Selbst-Parodie vorbei, was im Multiplex-Kino höhnisches Gelächter hervor rief. Doch wer dabei bleibt, wird in eine hilf los psychotisc­he Familienst­ruktur hineingezo­gen und mit subtilem Grauen versorgt. Besonders die Mutter Annie bleibt in ihrer Hysterie rätselhaft: Schützt sie ihre Kinder oder will sie ihnen Übles? Sind ihre Geisterbes­chwörungen großer Mutterlieb­e geschuldet oder wilder Mordlust?

Gegen Ende schlägt das angespannt­e Familienme­lodram bizarre Haken und machtseine­Verbeugung­enin Richtung „Rosemary’s Baby“und „Omen“. Das kann man gewagt finden oder misslungen, eins ist sicher: Familie ist der Horror.

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Schon in „The Sixth Sense“hat Toni Colette sich im Horror bewiesen, in „Hereditary“beschwört sie Geister
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