Kurier

71 Tote: Jeweils 25 Jahre Haft für Schlepper

Nach der Flüchtling­stragödie auf der A4: Kein Lebenslang für die vier Hauptangek­lagten

- AUS KESCKEMÉT (UNGARN) CLAUDIA KOGLBAUER UND JENNIFER VASS

59 Männer, acht Frauen, vier Kinder. Sie wollten am 26. August 2015 zur letzten Etappe ein erlangen Reis ei nein friedliche­s Leben aufbrechen. Es wurdeihr letzterWeg.

Am Donnerstag werden am Gericht im südungaris­chen Kecskemét die Urteile gegen jene Schlepper verkündet, die am Tod der 71 Flüchtling­e schuld sein sollen. Das internatio­nale Medieninte­resse ist auch zum Prozessfin­ale ungebroche­n. Auch die New York Times berichtet aus Ungarn. Vor Ort sind auch Angehörige zweier bulgarisch­er Schlepper.

Wenige Minuten vor der Urteilsver­kündung herrscht Stille im Gerichtssa­al: Alle Kameras sind auf die Tür gerichtet. Unter strengsten Sicherheit­svorkehrun­gen, an Händen und Füßen mit Ketten gesichert, werden die elf Angeklagte­n in den Gerichtssa­al geführt. Dem Erstangekl­agten, der zu Prozessbeg­inn vor einem Jahr bis über beide Ohren grinste, ist auch nach drei Jahren Untersuchu­ngshaft in Ungarn das Lachen nicht vergangen. Scherzend nimmt „Samsung“, wie er von Komplizen genannt wird, vor Richter János Jádi Platz.

Kein Lebenslang

Rasch spricht der Vorsitzend­e die Urteile: Die vier Erstangekl­agten fassen jeweils 25 Jahre Zuchthaus wegen Mordes und Schleppere­i aus (siehe Zusatzberi­cht). Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die drei Bulgaren – der Fahrer des Lastwagens, der Fahrer des Begleitfah­rzeuges und ein Organisato­r – sowie der afghanisch­e Bandenchef Samsoor L. die 71 Menschen getötet haben.

Ein leises Raunen geht durch den Gerichtssa­al. Denn damit wird die Forderung des Staatsanwa­ltes nach einer lebenslang­en Haftstrafe für die vier Erstangekl­agten nicht erfüllt.

Im Zuge der Urteilsver­kündung liefert der Richter eine Begründung: „Wenn wir hier heute die Höchststra­fe verhängen, wie sollen wir dann jemanden verurteile­n, der eine Bombe zündet oder andere terroristi­sche Anschläge verübt?“

Für die weiteren zehn Beschuldig­tensetztes­Freiheitss­trafen im Ausmaß von drei bis zwölf Jahren. Drei Angeklagte sind noch auf der Flucht. Alle Beschuldig­ten berufen, genauso wie Staatsanwa­lt Gábor Schmidt.

Die Urteile sind somit nicht rechtskräf­tig: Als zweite Instanz ist nun das Gericht in Szeged am Zug. Nach Meinung der Staatsanwa­ltschaft

sind die Strafen zu mild. „Es gibt kein gesetzlich­es Hindernis für den Tod von 71 Menschen, eine lebenslang­e Zuchthauss­trafe zu verhängen“, erklärte Schmidt.

Keine Luft

Es war inder Morgen dämmerung des 26. August 2015, als 71Migrante­nbeiMóraha­lom in den Kühl-Lkw stiegen. Knapp 15 Quadratmet­er maß der Laderaum, pro Person blieb soviel Platz wie eine Fußmatte klein ist. Die Luft wurde schon kurz nach dem Start knapp. Wie die Gutachter später rekonstrui­erten, dürften die ersten Personen nach einer Stunde ohnmächtig geworden sein. In Todesangst klopften die Insassen gegen die Lade wand, sie schrien. Die Telefon ab hör protokolle, die dem Gericht vorgespiel­t worden waren, gaben Zeugnis davon. „Ja, aber sie klopfen. Weißt du überhaupt, wie stark sie klopfen, schilderte­der Chauffeure inem Organisato­r am Mobil telefon. Ein Bild der Leichen, das in der Kronen Zeitung veröffentl­icht wurde, sorgte für Entsetzen. Trotz Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft konnte nicht geklärt werden, wer das Foto dem Blatt übermittel­t hatte. Der Fund der 71 toten Flüchtling­en im Lkw änderte diePolitik. WenigeTage­nach dem qualvollen Erstickung­stod der Migranten im Herzen von Europa standen in Nickelsdor­f die Grenzen für alle Flüchtling­e offen. Europa ringt seither um Antworten in der Flüchtling­spolitik.

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Das Medieninte­resse beim Finale des Schlepperp­rozesses im Gerichtssa­al in Kecskemét war groß
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Der Erstangekl­agte Samsoor L. fasste wegen Mordes und Schleppere­i 25 Jahre Zuchthaus aus
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Für die Angeklagte­n gelten strenge Sicherheit­sbestimmun­gen, sie haben Ketten an Händen und Beinen

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