71 Tote: Jeweils 25 Jahre Haft für Schlepper
Nach der Flüchtlingstragödie auf der A4: Kein Lebenslang für die vier Hauptangeklagten
59 Männer, acht Frauen, vier Kinder. Sie wollten am 26. August 2015 zur letzten Etappe ein erlangen Reis ei nein friedliches Leben aufbrechen. Es wurdeihr letzterWeg.
Am Donnerstag werden am Gericht im südungarischen Kecskemét die Urteile gegen jene Schlepper verkündet, die am Tod der 71 Flüchtlinge schuld sein sollen. Das internationale Medieninteresse ist auch zum Prozessfinale ungebrochen. Auch die New York Times berichtet aus Ungarn. Vor Ort sind auch Angehörige zweier bulgarischer Schlepper.
Wenige Minuten vor der Urteilsverkündung herrscht Stille im Gerichtssaal: Alle Kameras sind auf die Tür gerichtet. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, an Händen und Füßen mit Ketten gesichert, werden die elf Angeklagten in den Gerichtssaal geführt. Dem Erstangeklagten, der zu Prozessbeginn vor einem Jahr bis über beide Ohren grinste, ist auch nach drei Jahren Untersuchungshaft in Ungarn das Lachen nicht vergangen. Scherzend nimmt „Samsung“, wie er von Komplizen genannt wird, vor Richter János Jádi Platz.
Kein Lebenslang
Rasch spricht der Vorsitzende die Urteile: Die vier Erstangeklagten fassen jeweils 25 Jahre Zuchthaus wegen Mordes und Schlepperei aus (siehe Zusatzbericht). Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die drei Bulgaren – der Fahrer des Lastwagens, der Fahrer des Begleitfahrzeuges und ein Organisator – sowie der afghanische Bandenchef Samsoor L. die 71 Menschen getötet haben.
Ein leises Raunen geht durch den Gerichtssaal. Denn damit wird die Forderung des Staatsanwaltes nach einer lebenslangen Haftstrafe für die vier Erstangeklagten nicht erfüllt.
Im Zuge der Urteilsverkündung liefert der Richter eine Begründung: „Wenn wir hier heute die Höchststrafe verhängen, wie sollen wir dann jemanden verurteilen, der eine Bombe zündet oder andere terroristische Anschläge verübt?“
Für die weiteren zehn BeschuldigtensetztesFreiheitsstrafen im Ausmaß von drei bis zwölf Jahren. Drei Angeklagte sind noch auf der Flucht. Alle Beschuldigten berufen, genauso wie Staatsanwalt Gábor Schmidt.
Die Urteile sind somit nicht rechtskräftig: Als zweite Instanz ist nun das Gericht in Szeged am Zug. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft
sind die Strafen zu mild. „Es gibt kein gesetzliches Hindernis für den Tod von 71 Menschen, eine lebenslange Zuchthausstrafe zu verhängen“, erklärte Schmidt.
Keine Luft
Es war inder Morgen dämmerung des 26. August 2015, als 71MigrantenbeiMórahalom in den Kühl-Lkw stiegen. Knapp 15 Quadratmeter maß der Laderaum, pro Person blieb soviel Platz wie eine Fußmatte klein ist. Die Luft wurde schon kurz nach dem Start knapp. Wie die Gutachter später rekonstruierten, dürften die ersten Personen nach einer Stunde ohnmächtig geworden sein. In Todesangst klopften die Insassen gegen die Lade wand, sie schrien. Die Telefon ab hör protokolle, die dem Gericht vorgespielt worden waren, gaben Zeugnis davon. „Ja, aber sie klopfen. Weißt du überhaupt, wie stark sie klopfen, schilderteder Chauffeure inem Organisator am Mobil telefon. Ein Bild der Leichen, das in der Kronen Zeitung veröffentlicht wurde, sorgte für Entsetzen. Trotz Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnte nicht geklärt werden, wer das Foto dem Blatt übermittelt hatte. Der Fund der 71 toten Flüchtlingen im Lkw änderte diePolitik. WenigeTagenach dem qualvollen Erstickungstod der Migranten im Herzen von Europa standen in Nickelsdorf die Grenzen für alle Flüchtlinge offen. Europa ringt seither um Antworten in der Flüchtlingspolitik.