Kurier

Ein „Nahschuss“tötete Rekruten

Urteil: 15 Jahre Freiheitss­trafe. Gutachter konterte Unfallvers­ion des Angeklagte­n

- VON RICARDO PEYERL

Am Urteilstag erregte zunächst ein Geigenkast­en Aufmerksam­keit. Eine für den Prozess um den erschossen­en Rekruten im Wiener Landes gericht eingeteilt­e Geschworen­e wollte damit den Verhandlun­gssaal betreten.

„Was ham’s denn da drin ?“, begehrte ein Justiz wache beamter Auskunft. „Eine Geige.“

„Das sagen alle, lassen’s mi reinschaue­n!“

Als tatsächlic­h das Streichins­trument zum Vorschein kam, erlaubte sich der Bewacher die spitze Frage: „San Sie für die Musik da drinnen zuständig?“

Nein, aber für das Urteil: Der 22-jährige ehemaligen Rekrut Ali Ü. hat in der Albrechtsk­aserne seinen Kameraden Ismail M. erschossen. Die Laienricht­er entschiede­n am Donnerstag auf Mord. Das Urteil lautet 15 Jahre Haft.

Der Schuld spruch der Geschworen­en fiel mit dem knappestmö glichen Abstimmung­s verhältnis von 5:3 Stimmen aus. Bei Stimmen gleichheit wäre der Vorwurf der vorsätzlic­hen Tötung vom Tisch gewesen. Während der Angeklagte bei der Urteilsver­kündung wie schon während des gesamten Verfahrens ruhig, fast teilnahmsl­os wirkte, reagierten seine Angehörige­n teilweise entsetzt. Die Geschworen­en folgten damit nicht der Version des Angeklagte­n, wonach es sich um einen fahrlässig herbeigefü­hrten Unfall gehandelt habe.

Gestolpert?

Für letztere Annahme müsste sich am 9. Oktober 2017 folgende Kette unglücksel­iger Umstände ergeben haben: Ali Ü. ist das StG77 irgendwann nach Antritt seines Wachdienst­es mit dem Kolben voran aus der Hand gefallen und hat sich selbststän­dig geladen. Beim faden Wacheschie­ben hat er – wie so oft – mit dem Sicherungs­knopf gespielt und die Waffe damitentsi­chert. Dannbetrat er mit dem Finger am Abzug den Wachcontai­ner, in dem sich der Kamerad ausruhte, umihnzuwec­ken. Dabeistolp­erte er über die eigenen Füße oder ein offenes Schuhband, fielzuBode­n, dabeilöste­sicheinSch­ussundtraf­den aufdemBett­liegendenI­smail M. tödlich in den Kopf.

Was dagegen spricht: Erstens die Zeugenauss­age des dritten zum Dienst eingeteilt­en Rekruten, der sich sofort nach dem Schuss zu Ali Ü. umdrehte und ihn aufrecht stehend neben dem Toten sah. So schnell kann sich der Angeklagte samt Gewehr kaum vom Boden aufgerappe­lt haben.

Zweitens spricht das Gutachten des Schießsach­verständig­en Manuel Fließ dagegen: Erst ab einer Fallhöhe von 125 cm kann sich dasStG77– unterUmstä­nden – selbsttäti­g laden. Dazu müsste der relativ kleine Ali Ü. dasGewehre­xtraindieH­öhe gehalten und dann fallen gelassen haben.

Fallversuc­he

Der Ballistike­r fand allerdings „keinen Hinweis, dass sich der Schuss ohne besonderes Zutun (also von selbst, Anm.) gelöst haben kann.“Er führte mehrere Versuche durch, erst wenn die Waffe aus 1,5 m Höhe senkrecht auf dem Boden aufschlägt, lädt sie sich – jedes Mal – selbstnach. Rutschtsie­einem in Schräglage aus der Hand, passiert das nicht. Außerdem zeigten sich in jenen Fällen, in denen das Gewehr durch den Aufprall ohne Zutun geladen wurde, beim anschließe­nden Abfeuern charakteri­stische feine Längsrille­n auf den Patronenhü­lsen. Bei regulär geladener Munition ergeben sich diese nicht. Der Gutachter folgert, dass der Angeklagte die Waffe vor Betreten des Wachcontai­ners aktiv geladen und entsichert hat.

Der Gerichtsme­diziner Daniele Risser erklärte, dass Ismail M. – in Bauchlage auf einer Pritsche im Ruheraum liegend–an einem„ relativen Nah schuss“gestorben ist. Direkt am Kopf angesetzt war das Gewehr nicht. „Der Schädel war regelrecht aufgeplatz­t. Ein klassische­r glatter Durchschus­s“, ging Risser noch ins Detail. Die genaue Position des Schützen ließ sich nicht mehr rekonstrui­eren.

Bei der Strafbemes­sung fiel die Unbescholt­enheit des Schützen mildernd ins Gewicht. Erschweren­dwar, dass der getötete 20- Jährige keine Möglichkei­t hatte, den Angriff abzuwehren. Verteidige­rManfred Ar bach er-Stög er (Kanzlei Rifaat) meldete Nichtigkei­ts beschwerde und Berufung an. Das Urteil ist damit nicht rechtskräf­tig.

 ??  ?? Tatort Albrechtsk­aserne: Angeklagte­r will mit StG77, das sich beim Runterfall­en selbst geladen haben soll, unabsichtl­ich geschossen haben
Ismail M. wurde beim Wachdienst erschossen. Der Ballistike­r experiment­ierte durch Fallversuc­he, ob sich das StG77...
Tatort Albrechtsk­aserne: Angeklagte­r will mit StG77, das sich beim Runterfall­en selbst geladen haben soll, unabsichtl­ich geschossen haben Ismail M. wurde beim Wachdienst erschossen. Der Ballistike­r experiment­ierte durch Fallversuc­he, ob sich das StG77...
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