Wohltemperiertes Chaos und Sinnsuche
Kritik. „10.000 gestes“von Boris Charmatz in den Gösserhallen bei den Wiener Festwochen
„10.000 gestes“– der Titel ist Programm von Boris Charmatz’ spektakulärem Tanzstück, das noch bis 16. Juni im Rahmen der Wiener Festwochen in den Gösserhallen zu sehen ist. Der Tänzer und Choreograf leitet seit 2009 dasMuséedeladanseinRennes und zählt seit mehr als zweiJahrzehntenzudenführenden Choreografen der Tanzavantgarde. „Gegen den Strich bürsten“könnte als Motto über vielen seiner Stücke stehen, die großen Einfluss auf die internationale zeitgenössische Tanzszene haben. „10.000 gestes“bricht mit demderzeitweitverbreiteten Solo- oder Duoformat und stellt gleich 23 Tänzerinnen und Tänzer mit unterschiedlicher Herkunft und Ausbildung auf die Tanzfläche. Da wird eine Bandbreite von Gesten aufgerollt, die Charmatz gekonnt und fließend zu einem energiegeladenen Stück aus einem Guss zusammensetzt, wobei er gleichzeitig auch 23 Porträts mittels Bewegung gestaltet. Die Gesten variieren Künstlichkeit und Alltag, sind sinnlich, versucheneineOrdnung ins Chaos zu bringen, fallen auch drastisch aus. ObklassischesBallett, Akrobatik oder unterschiedliche Techniken des Gegenwartstanzes: Charmatz stellt sie nebeneinander, ohne Traditionen in Frage zu stellen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Musik. Mozarts „Requiem“erklingt in einer Einspielung der Wiener Philharmoniker mit Herbert von Karajan. Auch wenn Charmatz kein primäres Interesse daran hat, Musik in Tanz umzusetzen, so tritt doch der existenzielle Gehalt der Komposition, die Frage nach der Sinnsuche des Lebens in einer Zeit der vielen Bedrohungen durch offene Fragen der Weltpolitik deutlich zu Tage. DerTodtanztmitvielen Gesichternmit.– KURIER-Wertung: