Die Angst des Wirten vor dem Preis
Ernährung. Heinz Reitbauer senior betreibt das Steirereck am Pogusch nur mit regionalen und saisonalen Produkten
Vor dem Steirereck am Pogusch steht ein Wächter. Bevor sich die Pforte öffnet, bevor dem Gast Einlass gewährt wird, muss er ihm eine Frage beantworten: „Wos is des fia a Fisch?“
Heinz Reitbauer senior steht vor einem Trog mit Süßwasserfischen auf Eis, er hat sein Personal angewiesen, ihn quer vor die Tür zu stellen, „damit der Gast fast reinstolpert“. Viele Gäste bestehen die Prüfung nicht. Forellen kennen alle, aber wer erkennt schon einen Huchen?
Wir sollten das wissen, findet Reit bauer, und die Gäste dürfen natürlich auch rein, wenn sie keinen Huchen erkennen – ein bisschen schlauer als noch draußen. Ein paar Minuten später trägt er den „schmackhaftesten aller Salmoniden“, wie er sagt, in die Küche, um ihn dort zubereiten zu lassen.
Alles zu seiner Zeit
Jeden Freitag ist hier Süßwasserfischtag – so wie alles, das er hier anbietet, stammt der Huchen aus der Region. Und alles ist nur dann verfügbar, wenn es Saison hat. Immer wieder fragen Gäste seine Kellner nach Weintrauben zum Käse, dann geht er selbst zum Tisch und fragt: „Wo soll ich die denn hernehmen?“Weintrauben, Paradeiser, Spargel – alles gibt es hier nur zu seiner Zeit.
Heinz Reitbauer ist hier in der Gegend aufgewachsen, 1970 ging er nach Wien, wo er das erste Steirereck in der Rasumofskygasse eröffnete. Ungefähr zur selben Zeit wurde sein – ebenfalls Heinz getaufter – Sohn geboren, der seit 2005 das Ste ire reck leitet. Es gilt heute als eines der besten Restaurants der Welt und ist die unbestrittene Speerspitze der österreichischen Spitzenküche.
Am Anfang, erzählt der Senior lachend, „haben wir ja nur abgeschaut und mitgeschrieben“, was anderswo gutgekochtwurde–vorallem in Frankreich, wo Essen und Genuss einen ganz anderen Stellenwert habe. „Dort verkauft der Bauer das schönste Hendl nicht, das behält er für sich. In Österreich wird das Schönste verkauft, das Magerste behält er sich“, sagt er.
Heinz Reitbauer hat aber mittlerweile nicht nur eine kulinarische, sondern auch eine pädagogische Mission. Für Regionalität, für Saisonalität. Seine Schweine suhlen sich ein paar Meter vom Wirtshaus im Schlamm, auch geschlachtet werden sie hier. Aus den Rehen macht er Leberkäse und aus den Latschen wird ein Eis.
Manchmal scheitert Reitbauer auch an seinem eigenen Anspruch, wenn etwa ein lautes Knattern die Luft erfüllt und ein Hubschrauber mit Gästen landet. Ein Service, das er sich überlegt hat, weil er Angst hatte, dass niemand in sein abgelegenes Wirtshaus in der Steiermark kommen würde. Mittlerweile macht es ihn selbst unrund.
„Rabattitis“
Reitbauer kämpft trotzdem mit ganzem Herzen gegen die Entkopplung des Lebensmittels von seiner Erzeugung. Dafür, dass gutes Essen seinen Preis hat.
Ein Mittagsmenü um sieben Euro sei für den Wirten eine „Selbstausbeutung, mit der er sich zugrunde richtet“. Seitens des Gastes eine „Gedankenlosigkeit, er fragt nicht: Woher kommt das Fleisch, woher kommt der Fisch?“. Aber warum bieten Wirte überhaupt Mahlzeiten zu solchen Preisen an? „Der Wirt hat Angst vor dem Preis, richtige Preisangst.“Sie ist für ihn Symptom einer Krankheit, „Rabattistis“hat er sie genannt.
Reitbauer zeigt kleine Kärtchen her, die Gäste bekommen, wenn sie ein Gericht bestellen – um sie darüber zu informieren. Welche Vitamine im Lammfleisch sind, was das Reh gegessen hat, bevor es geschossen wurde, wie lange das T-BoneSteak gereift ist.
Er will den Wert des Gerichts vermitteln, aber nicht nur das: „Ich will letzten Endes auch mehr verlangen können.“Sein Schweinsbraten kostet 12,50 Euro, aber damit es sich rechnet, sagt er, müsste er mindestens 20 Euro verlangen. Aber das traut er sich auch nicht. „Ich habe auch Preisangst. Ich versuche, das Geld über Getränke und Desserts hereinzubekommen“, sagt er.
Der Steirereck-Gründer hat Angst vor einer Kraft, die größer ist als er. Angst vor dem Konsumenten. „Er hat die Kraft des Einkaufs, mit der er alles steuern kann. Der Konsument kann unseren Bauern umbringen. Meine Frage ist: Quo vadis? Was machen wir dann? Was essen wir dann?“
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