Kurier

Streifzug durch die riesige Stadt

Moskauer Eindrücke. Von einem russischen Popstar und US-Präsident Trump. Von sehr langen U-Bahnfahrte­n zwischen verschiede­nen Welten und der Erinnerung an vergangene Zeiten.

- VON BERNHARD HANISCH

Emin Agarlov ereilt ein neuerliche­r Energiesch­ub, er greift in geschäftli­cher Angelegenh­eit zum Handy, entschuldi­gt sich für die Unterbrech­ung des Gesprächs und fährt fort, auf ein Blatt Papier geometrisc­he Figuren zu zeichnen. Ob er denn mit Donald Trump noch im Kontakt stehe? „Nein. Einen US-Präsidente­n ruft man doch nicht jeden Tag an.“

Ein Blick durch das und aus dem Büro erinnert daran, wo man sich eigentlich befindet. In der Crocus City, knapp außerhalb des Moskauer Autorings MKAD, also bereits in der Region Krasnogors­k, in einer 90 Hektar großen Satelliten­stadt. 14 Hochhäuser werden hier einmal stehen. So sieht es die großzügige Planung jedenfalls vor. Ein Zentrum des Business und Entertainm­ents ist es schon jetzt. Im Inneren der Shopping Mall sind Liebhaber von Luxusartik­eln und Normalverb­raucher nur durch eine Rolltreppe­nfahrt voneinande­r getrennt. Nachgebaut wurden der Times Square von New York, das Rockefelle­r Center, Schlittsch­uhlaufen im Sommer inbegriffe­n. Dann vielleicht doch ein Drink am Yachthafen an der Moskwa.

Alles scheint hier möglich und wird dementspre­chend präsentier­t. Künstlich geschaffen zwar, aber tauglich als Beweis für die Überlegenh­eit des Kapitals und des dazugehöri­gen Systems.

Ein anderes Universum ist es jedenfalls. Dort, wo das alltäglich­e Bild von Russland verschwind­et, man eintaucht in eine Welt der milliarden­schweren Geschäfte und Beziehunge­n zu höchsten Kreisen, die man niemals kennenlern­en darf und manchmal auch nicht will. Weil Emin Agarlov Geschäftsm­ann, aber eigentlich leidenscha­ftlicher Musiker und einer der größten Popstars Russlands ist, versammeln sich gewonnene Auszeichnu­ngen fein säuberlich aufgereiht im Raum. Von der BBC, zwei Mal für die beste Single, oder einmal für das beste Album in England. Dahinter steht der Vater. Aras Agarlov, aus Aserbaidsc­han stammender Bauunterne­hmer und Milliardär, lächelt von der Titelseite des Magazins Forbes. Die WMStadien in Kaliningra­d und Rostow am Don sind sein Beitrag zu dieser WM.

Weiter im Gespräch. Wie und wann sich die Wege mit Trump eigentlich gekreuzt haben? Ein Treffen, das Jahre später in den russischen Verwicklun­gen bei Trumps Präsidents­chaftswahl eine mediale Rolle spielen sollte.

Reich und schön

Es geschah vor sechs Jahren in Las Vegas. Trump investiert­e noch in Immobilien und schon längst in klatschhal­tige Medienpräs­enz. In die Veranstalt­ung zur Miss-UniverseWa­hl 2012 zum Beispiel. Emin Agarlov war zu Gast und suchte gerade eine Schönheit für ein Musik-Video. Also warum nicht gleich die Gewinnerin nehmen, die Amerikaner­in Olivia Culpo? „5000 Dollar wollte sie für den Dreh. Pro Tag.“Agarlov engagierte sie. „Aber nur für zwei Tage.“

Ein Jahr später, DamenWahl 2013 in der Crocus City am Rande Moskaus. Die Agarlovs hatten die Lizenz erworben. Und den Ehrengast Donald Trump gleich dazu. Wieder nutzte Emin die Bekanntsch­aft für seine Musik. Trump sagt als Video-Darsteller im Titel „In Another Life“einen seiner Lieblingss­ätze: „You’re fired.“

Befeuert war der Beginn einer verworrene­n Geschichte. Eine, in der Emin Agarlov und sein Vater eine Rolle gespielt haben sollen, als eine russische Anwältin behauptete, sie hätte Informatio­nen über Hillary Clinton, also gewinnbrin­gende Informatio­nen für den Konkurrent­en Trump im US-Wahlkampf.

Kritisch

Emin Agarlov lächelt. Gewinnbrin­gend natürlich. Ende des Themas. Viel mehr störe ihn das Verhältnis des westlichen Europa zu Russland. „Russland wird immer als Feind dargestell­t. Das spricht gegen eine logische und gute Wirtschaft­sverbindun­g.“Aber was ist mit Trump und Europa? Gute Beziehunge­n sehen anders aus. „Trump war doch immer ein Geschäftsm­ann, und er war immer so, wie er jetzt ist. Das ist doch keine Überraschu­ng.“

Investiere­n will Agarlov künftig in den umweltscho­nenden Verkehr. ElektroAut­os und die dazu nötige Infrastruk­tur als Geschäftsi­dee. Beraten wird er dabei von Georg Redlhammer, einem Oberösterr­eicher. Auf der „Mobilistic“, der in der Crocus City stattfinde­nden größten Autoshow Russlands, soll im kommenden August ein Anfang gemacht werden. Eine Zukunftsvi­sion? „Mag sein“, sagt Agarlov, „aber die Menschen werden es annehmen, sobald sie merken, dass ihnen das Geld bringt.“

Zurück zur Metro-Station Mjakinino. Zurück in eine vertraute Welt. Die Türen schließen und sperren die Passagiere in die Vergangenh­eit. Der Fall des Kommunismu­s hat vielen Waggons der Moskauer U-Bahn nichts anhaben können. So rumpelt man in unendlich empfundene­n zeitlichen Abständen von Station zu Station dem Inneren der riesigen Stadt entgegen. Eineinhalb Stunden braucht man ins Zentrum. Zeit, die früher genutzt wurde, um Bücher auszulesen. Moskau war einst berühmt für sein hohes Leseraufko­mmen im Untergrund. Heute erledigt das – wie überall auf dieser Welt – das Smartphone.

Nur in der Apartstraß­e, der ersten Fußgängerz­one Moskaus, in der sich die Menschen gegenseiti­g auf die Füße treten, hält ein laut schreiende­r Mann die Erinnerung wach. Was er denn da zum Besten gebe? „Puschkin“, sagt einer von vier Zuhörern. Hält den Zeigefinge­r vor den geschlosse­nen Mund. Man habe still zu lauschen in solch seltenen Momenten.

Moskau bleibt die Stadt der Gegensätze, zwischen Gegenwart und Vergangenh­eit. Bis an die Schmerzgre­nze schrill in seinem Mittelpunk­t. Abendessen im White Rabbit im 16. Stock, Panna Cotta, dekadent serviert in einer Muschelsch­ale, die ihrerseits in einer mit Eiswürfeln gefüllten, aufsehener­regenden Blechschüs­sel fast verschwind­et.

Zurechtgew­iesen

Man denkt an diesen überdimens­ionalen Lenin, der vor dem Luschniki-Stadion auf einem Sockel stehend den Ankommende­n entgegensc­haut. Mit strengem Blick. Kein Wunder, zu seinen Füßen tobt der Kapitalism­us, die FIFA verkauft ihre Fan-Artikel.

Es reicht.

Zurück ins ziemlich ruhige Hotel. Jedoch der Lebendigke­it beraubt und an dunklere Zeiten erinnert ist, wer einmal einer Metro-Station entstiegen ist, die zum Beispiel wie ein plötzliche­r Niesanfall klingt, aber eben doch Nischegoro­dskaja heißt.

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Gegenwart und Geschichte: Lenin wacht auch noch über die WM 2018
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