„Nicht der, der alle Hemmschwellen überschreitet, ist der beste Schauspieler“
Im Film wird einmal die Frage an Sie gerichtet: „Ist Ihnen das nicht peinlich?“Wie stehen Sie als Schauspieler zum Konzept von Peinlichkeit?
Das ist eine spannende Frage, weil man als Schauspieler von Berufs wegen oft mit vermeintlichen Peinlichkeiten konfrontiert wird. Auch bei Inszenierungen stellt sich manchmal die Frage, inwieweit man etwas mitträgt und ab wann etwas geschmacklos wird. Manche suchen sich Peinlichkeiten aus, um Glocken schrillen zu lassen, damit die Leute überhaupt hingucken. Ich erinnere mich aber an Situationen, wo ich gesagt habe, das lohnt sich nicht. Ich bin nicht ein Schauspieler, der die Meinung vertritt, derjenige ist der größte Künstler, der alle Tabus hinter sich lässt. Man kann sich jeglicher Keuschheit entledigen. Dann können sich Schauspieler oft gar nicht davor bewahren, dass sie die Hose herunterlassen. Aber nicht der, der alle Hemmschwellen überschreitet, ist der beste Schauspieler. Das ist ein großes Missverständnis.
„Der Dolmetscher“handelt auch vom Älterwerden. Ist Ihnen dieses Thema nahe?
Dieses Thema nähert sich von selbst an, da muss man gar nichts dafür tun. Nach der Kindheit hat man den Eindruck, dass der Turbo hochgefahren wird. Und plötzlich, so um die 70, hast du das Gefühl: Oha, jetzt fahren sie das alles wieder herunter. Vor 50, 60 Jahren wurde alles hochgefahren, zum Leben hin, und ab 70 wird der Schalter wieder umgelegt, das Kraftwerk wird langsamer und wie so ein riesiger Tanker zum Stehen gebracht. Da braucht man dringend Humor, denn der Kampf gegen das Alter wird in jedem Fall verloren.
Sie selbst sind ja im Kino auch schon sehr eindrucksvoll und lang gestorben, etwa in Götz Spielmanns „Oktober November“. Ist der eigene Tod eine Rolle wie jede andere?
Also, schauspielerisch ist das Sterben in jedem Fall unbefriedigend (lacht), weil natürlich jeder im Publikum weiß, dass Sie lügen. Mein Beruf besteht aus Lügen mit Wahrhaftigkeit. Aber schon die alten Griechen wussten, dass man Sterben auf der Bühne mit Mitteln der „Mauerschau“darstellt: Jemand steht auf der Bühne und berichtet vom Tod, ohne dass etwas gezeigt wird. Da ist die Fantasie des Zuschauers gefragt. Oder bei „Hamlet“, zum Beispiel: Der Degen ist vergiftet und es geht zack, zack. Aber im Film von Götz Spielmann, wo das Sterben Thema ist, war es ein kühnes Unterfangen. Ihm ist ein toller Film gelungen, aber dem Schauspieler wird eine Hypothek aufgelastet.
Was kann Kino für Sie, was Theater nicht kann?
Das Kino kann konservieren. Es ist schön, dass man sich heute einen tollen Film mit Marilyn Monroe oder James Dean angucken kann, obwohl beide schon längst in einem anderen Aggregatzustand sind (lacht). Schiller musste noch sagen: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“Ein paar haben den Schauspieler gesehen, dann lebt er noch ein bisschen in Erzählungen, dann ist er weg. Vom Schriftsteller kann man etwas lesen, Bilder eines Malers anschauen, Musik hören – die Kunst des Mimen erlischt. Deswegen heißt die Theaterschauspielerei auch „das Fest des Augenblicks“.
Sie brauchen beides, oder?
Mir fällt es offenbar schwerer, aufs Theater zu verzichten als auf den Film. Ich wollte Schauspieler werden, weil ich auf der Bühne stehen wollte. Damals war noch eine andere Zeit, und eine Fernseh- oder Filmkarriere galt als noch exotischer als eine Bühnen-Karriere.
Was empfanden Sie als den besten Moment Ihrer Karriere?
Da gibt es nach außen hin unscheinbare Glücksmomente – wo zwei Leute einen Dialog führen und etwas Drittes aufblüht, was einer allein nicht herstellen könnte. Das ist das Glücksgefühl, für das Schauspieler oft viel auf sich nehmen.
Ich dachte, Sie sagen jetzt „Toni Erdmann“...
Ja, und dann gibt es die äußeren Glücksmomente – und das war der tollste Moment in Cannes nach der Vorführung von „Toni Erdmann“. Was da im Zuschauerraum los war, war das Überwältigendste meiner Karriere.