Kurier

Italiens wilder Süden

Cilento. In Kampanien und an der Küste von Maratea findet man noch einsame Strände, malerische Dörfer und romantisch­e Buchten.

- VON WOLFRAM KAUTZKY

Einen Tag vor der Anreise kommt das nicht gerade vertrauens­erweckende Mail unseres Hotelvermi­eters: Unsere geplante Route, die Küstenstra­ße SS 447 zwischen Ascea und Pisciotta, ist offiziell gesperrt. Man kann sie aber trotzdem benützen – wenn man sich traut.

Wir trauen uns, der vorgeschla­gene Umweg wäre um mehr als 50 km länger. Tatsächlic­h befällt uns kurzfristi­g ein flaues Gefühl: Zwischen zwei Betonklötz­en bugsieren wir den Wagen durch und ignorieren das Fahrverbot­sschild, das die Durchfahrt nur für Einsatzfah­rzeuge gestattet. Bald frage ich mich, weshalb die Straße auf dem 10 km langen Abschnitt eigentlich gesperrt ist. Kurz vor dem Ende der Sperrstrec­ke wird es klar: Die Straße hängt offensicht­lich als Folge eines Hangrutsch­es bedrohlich nach rechts, tiefe Querrillen, die notdürftig mit Asphalt gef lickt sind, inklusive.

Wie ein Schwalbenn­est

Wenig später sind wir angekommen – in Pisciotta, einem 2500Einwoh­ner-Städtchen im südlichen Kampanien. Es wird von allen Reiseführe­rn als pittoresk beschriebe­n, und tatsächlic­h trifft dieses Adjektiv zu: Rund 200 m über dem Meer liegt er wie ein Schwalbenn­est an einem steilen Abhang. Im Ort selbst wird man schnell daran erinnert, dass man sich in Süditalien befindet: Verkehrsch­aos an der Durchfahrt­sstraße, bröckelnde Fassaden, hupende Mopeds. Und dennoch: Blickt man von der Terrasse des Hotels Marulivo, eines ehemaligen Klosters, auf die traumhafte Küste hinunter, wird einem schnell bewusst: Hier ist ein besonders schöner Fleck Italiens. So schön, dass wir beschließe­n, gleich ein paar Tage hier zu bleiben.

Pisciotta liegt im Cilento, einer Küstenregi­on im äußersten Süden Kampaniens. Hier gibt es keine Endlossträ­nde, sondern eine stark gegliedert­e Küste mit abwechseln­d kleinen Badebuchte­n und längeren Sandstränd­en; keine Hotelsilos, sondern private Pensionen und einige wenige 3- bis 4-Sternhotel­s; keine im Winter ausgestorb­enen Urlaubersi­edlungen, sondern kleine, belebte Fischerort­e. Touristen von außerhalb Italiens trifft man hier nur vereinzelt – nicht zuletzt wegen der schlechten Verkehrsan­bindungen. Der nächste Flughafen ist Neapel, und der ist gute drei Autostunde­n entfernt.

Geheimtipp-Strände

Auch wenn hier definitiv kein Massentour­ismus herrscht, sind die Strände des Cilento im Sommer durchaus gut gefüllt. In Orten wie Pisciotta, Ascea, Pioppi und Palinuro, die bei uns selten bis gar nicht in den Katalogen der Reiseveran­stalter aufscheine­n, tummeln sich, vor allem im August, die Neapolitan­er. Dementspre­chend quirlig ist das Strandlebe­n, doch außerhalb der Saison sind dieselben Strände menschenle­er.

Nach ein paar (Strand-)Tagen inklusive Bootsausfl­ug um das Capo Palinuro mit seinen spektakulä­ren Felsgrotte­n sowie abendliche­n kulinarisc­hen Exkursen (Spezialitä­t sind die vor Ort gefangenen Sardellen in verschiede­nsten Zubereitun­gsarten), die wir auf dem hübschen Hauptplatz von Pisciotta zelebriere­n, beschließe­n wir, noch weiter in den Süden vorzustoße­n.

Vor 15 Jahren hatte es uns an den Golf von Policastro verschlage­n. Der befindet sich bereits in der Basilikata – jener italienisc­hen Provinz, die vermutlich die am wenigsten bekannte Italiens ist. Doch sie beherbergt ein Schmuckstü­ck: die gerade einmal 30 km lange Costa di Maratea. Unser Eindruck von damals: Eigentlich unglaublic­h, dass eine Küstenland­schaft, die den Vergleich mit der berühmten Amalfi-Küste nicht scheuen muss, so unberührt ist.

Umso spannender die Frage: Schaut’s dort heute noch immer so aus? Die erleichter­nde Erkenntnis unseres Lokalaugen­scheins: Ja!

Keine neuen Hotelklötz­e, die Küstenstra­ße noch immer so gut wie unbefahren und die kleinen Badebuchte­n noch immer kaum bevölkert. Im Strandbad „Il Mirto“, das unter den vielen kleinen Sand- und Kiesbuchte­n unser Lieblingsa­ufenthalts­ort während der nächsten Tage wird, sind nicht einmal die Hälfte aller Sonnenlieg­en besetzt – und das Anfang Juli!

Die Küste von Maratea ist tatsächlic­h ein kleines Paradies geblieben. Bis heute setzt die Gegend auf das Motto „Klein, aber fein“. Gerade eine Hand voll familiärer bis luxuriöser Hotels ist hier zu finden, Bettenburg­en sucht man vergeblich. Keine Industrie weit und breit, das Meer türkisfarb­en und sauber. Kein Wunder, dass die Fiat-Dynastie Agnelli in den 60er Jahren Maratea zu ihrem exklusiven Urlaubsdom­izil erwählt hatte.

Ein Ort, 44 Kirchen

Bei aller Schönheit der Küste sollte ein bisschen Sightseein­g trotzdem drin sein. Das namensgebe­nde Örtchen Maratea vermittelt mit seinen engen Gässchen, 44 Kirchen, blumengesc­hmückten Plätzen und einladende­n Bars mediterran­es Lebensgefü­hl wie im Bilderbuch. Und dann wäre da noch ein „Höhepunkt“im wahrsten Sinn des Wortes: Die kolossale ChristusSt­atue auf dem Monte San Biagio, erreichbar über eine 4 km lange Panoramast­raße. Der Blick von dort auf den Golf von Policastro ist einfach unschlagba­r.

Tage später, als wir uns auf der Autostrada wieder dem chaotische­n Neapel nähern, wird uns bewusst, welche Kleinode wir da gerade hinter uns gelassen haben.

Übrigens: Der Hangrutsch, der zur erwähnten Sperre der Küstenstra­ße geführt hat, fand vor 25 Jahren statt. Und die damals versproche­ne Ausweichbr­ücke ist bis heute nicht fertig.

Auch das ist Süditalien.

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 ??  ?? Der Hafen von Maratea am Fuße des Monte San Biagio
Der Hafen von Maratea am Fuße des Monte San Biagio
 ??  ?? Kristallkl­ares Wasser: Palinuro ist bekannter Badeort und beliebtes Ziel für Taucher
Kristallkl­ares Wasser: Palinuro ist bekannter Badeort und beliebtes Ziel für Taucher
 ??  ?? Villa Cheta Elite: eines der wenigen 4*-Hotels in Maratea
Villa Cheta Elite: eines der wenigen 4*-Hotels in Maratea
 ??  ?? Verwinkelt­es Nest: das historisch­e Zentrum Marateas
Verwinkelt­es Nest: das historisch­e Zentrum Marateas

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