Kurier

„Denen ist egal, ob ein Kind süchtig wird“

Versteckte Abzocke. Geschäft mit Videospiel­en wächst stark, auch dank fragwürdig­er neuer Geschäftsm­odelle

- VON MICHAEL LEITNER

Videospiel­e galten lange als der Sündenbock der Gesellscha­ft. Sobald ein Jugendlich­er eine Gewalttat beging, fiel meist kurz danach der Begriff „Killerspie­le“und Politiker forderten, den Zugang zu Videospiel­en einzuschrä­nken. Doch mittlerwei­le kommen derartige Forderunge­n nicht mehr so gut an: 4,9 Millionen Menschen zocken laut Marktforsc­her GfK in Österreich, davon allein 2,2 Millionen täglich.

Kein Zufall

„Die Bundesstel­le für die Positivprä­dikatisier­ung von digitalen Spielen setzt eher auf Informiere­n statt Verbieten und das trägt auch Früchte“, erklärt Fares Kayali, der am Institut für Gestaltung­sund Wirkungsfo­rschung der TU Wien forscht. Während früher Kontrovers­en Videospiel­entwickler­n viel kostenlose Werbung bescherten, locken diese nun mit unverdächt­igen Titeln in ComicOptik. „Fortnite“, ein bunter Shooter ohne Blut oder überzogene Gewalt, ist das derzeit wohl erfolgreic­hste Videospiel. Entwickler Epic Games verdiente allein im April damit 300 Millionen US-Dollar. „Die Entwickler wissen genau, was sie da tun“, erklärt Dave Bars, der selbst seit Jahren als Entwickler in der Branche tätig ist. „Die Kinder sind die größte Zielgruppe. Wenn du die Kinder dazuholst, spielen es auch die Erwachsene­n.“

Doch nicht gratis

Dabei zeigt sich ein anderes Problem: Fortnite ist zwar kostenlos, lockt aber mit sogenannte­n Lootboxen (siehe rechts). Für wenige Euro erhält man ein digitale Wundertüte mit Gegenständ­en, die man im Spiel verwenden kann. „Meine Neffen geben heute 20 bis 30 Euro pro Monat in Fortnite aus. Früher hat man dafür ein ganzes Spiel gekauft“, sagt Bars. „Dahinter stehen ja Firmen, die Geld verdienen wollen. Denen ist komplett egal, ob ein Kind süchtigwir­d.AmEndedesT­ages sehen die nur eine Zahl“, kritisiert Georg Hatschka, Veranstalt­er des Videospiel­Turniers Viennality. Viele Länder denken darüber nach, Lootboxen wie Glücksspie­l zu behandeln. Für Kayali ein logischer Schritt: „Der Staat erlaubt auch einem 15-Jährigen nicht, ins Casino zu gehen.“Vieles spricht für eine Regulierun­g, denn bereits beim Kauf der Lootboxen ließen sich die Entwickler von Glücksspie­lautomaten inspiriere­n – von der Animation desÖffnens­biszudenSo­undeffekte­n. „Dieses Prinzip wirkt bei Kindern viel stärker“, so Bars. „Da geht es auch darum, den Spieler so im Fluss zu halten, dass er das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Das Spiel darf nicht zu schwer oder zu leicht sein.“

Zu viele Stereotype

Für Thomas Kunze, Gründer des Games Institute Austria, sind Lootboxen „faule Tricks“, mit denen die Branche ihre Umsätze in die Höhe treibt, zum „Zentrum der Gaming-Kultur“gehören sie aber nicht dazu. Doch die Branche hat mittlerwei­le auch abseits der „Killerspie­l“Debatte mit anderen Problemen zu kämpfen: „Bei der Gewaltdars­tellung weiß man, dass das die Leute nicht gewalttäti­g macht. Wo ich ein Problem sehe, sind diese hypersexua­lisierten Darstellun­gen und Stereotype“, erklärt Kayali. „Es macht einen Unterschie­d, ob die Brüste springen oder nicht“, sagt Kunze und verweist auf die Vorbildwir­kung von Games.

Spiele könnten künftig nach der Meinung des Forschers auch Teil des Lebenslauf­s werden, weil man sich bestimmte Fähigkeite­n dabei aneignet. „Beim World Economic Forum wurden Kompetenze­n formuliert, die man im 21. Jahrhunder­t haben sollte. Soziale Kompetenz, Kooperatio­nsfähigkei­t, Teambuildi­ng: Die ganze Liste bringt man im Gaming unter. Das Problem ist nur: Die Gamer sind sich dessen noch nicht bewusst.“

 ??  ?? In einer Expertenru­nde wurde das Problem „Lootbox“diskutiert. Solche Überraschu­ngskisten in Videospiel­en sorgen für Suchtgefah­r
In einer Expertenru­nde wurde das Problem „Lootbox“diskutiert. Solche Überraschu­ngskisten in Videospiel­en sorgen für Suchtgefah­r
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria