„Denen ist egal, ob ein Kind süchtig wird“
Versteckte Abzocke. Geschäft mit Videospielen wächst stark, auch dank fragwürdiger neuer Geschäftsmodelle
Videospiele galten lange als der Sündenbock der Gesellschaft. Sobald ein Jugendlicher eine Gewalttat beging, fiel meist kurz danach der Begriff „Killerspiele“und Politiker forderten, den Zugang zu Videospielen einzuschränken. Doch mittlerweile kommen derartige Forderungen nicht mehr so gut an: 4,9 Millionen Menschen zocken laut Marktforscher GfK in Österreich, davon allein 2,2 Millionen täglich.
Kein Zufall
„Die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von digitalen Spielen setzt eher auf Informieren statt Verbieten und das trägt auch Früchte“, erklärt Fares Kayali, der am Institut für Gestaltungsund Wirkungsforschung der TU Wien forscht. Während früher Kontroversen Videospielentwicklern viel kostenlose Werbung bescherten, locken diese nun mit unverdächtigen Titeln in ComicOptik. „Fortnite“, ein bunter Shooter ohne Blut oder überzogene Gewalt, ist das derzeit wohl erfolgreichste Videospiel. Entwickler Epic Games verdiente allein im April damit 300 Millionen US-Dollar. „Die Entwickler wissen genau, was sie da tun“, erklärt Dave Bars, der selbst seit Jahren als Entwickler in der Branche tätig ist. „Die Kinder sind die größte Zielgruppe. Wenn du die Kinder dazuholst, spielen es auch die Erwachsenen.“
Doch nicht gratis
Dabei zeigt sich ein anderes Problem: Fortnite ist zwar kostenlos, lockt aber mit sogenannten Lootboxen (siehe rechts). Für wenige Euro erhält man ein digitale Wundertüte mit Gegenständen, die man im Spiel verwenden kann. „Meine Neffen geben heute 20 bis 30 Euro pro Monat in Fortnite aus. Früher hat man dafür ein ganzes Spiel gekauft“, sagt Bars. „Dahinter stehen ja Firmen, die Geld verdienen wollen. Denen ist komplett egal, ob ein Kind süchtigwird.AmEndedesTages sehen die nur eine Zahl“, kritisiert Georg Hatschka, Veranstalter des VideospielTurniers Viennality. Viele Länder denken darüber nach, Lootboxen wie Glücksspiel zu behandeln. Für Kayali ein logischer Schritt: „Der Staat erlaubt auch einem 15-Jährigen nicht, ins Casino zu gehen.“Vieles spricht für eine Regulierung, denn bereits beim Kauf der Lootboxen ließen sich die Entwickler von Glücksspielautomaten inspirieren – von der Animation desÖffnensbiszudenSoundeffekten. „Dieses Prinzip wirkt bei Kindern viel stärker“, so Bars. „Da geht es auch darum, den Spieler so im Fluss zu halten, dass er das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Das Spiel darf nicht zu schwer oder zu leicht sein.“
Zu viele Stereotype
Für Thomas Kunze, Gründer des Games Institute Austria, sind Lootboxen „faule Tricks“, mit denen die Branche ihre Umsätze in die Höhe treibt, zum „Zentrum der Gaming-Kultur“gehören sie aber nicht dazu. Doch die Branche hat mittlerweile auch abseits der „Killerspiel“Debatte mit anderen Problemen zu kämpfen: „Bei der Gewaltdarstellung weiß man, dass das die Leute nicht gewalttätig macht. Wo ich ein Problem sehe, sind diese hypersexualisierten Darstellungen und Stereotype“, erklärt Kayali. „Es macht einen Unterschied, ob die Brüste springen oder nicht“, sagt Kunze und verweist auf die Vorbildwirkung von Games.
Spiele könnten künftig nach der Meinung des Forschers auch Teil des Lebenslaufs werden, weil man sich bestimmte Fähigkeiten dabei aneignet. „Beim World Economic Forum wurden Kompetenzen formuliert, die man im 21. Jahrhundert haben sollte. Soziale Kompetenz, Kooperationsfähigkeit, Teambuilding: Die ganze Liste bringt man im Gaming unter. Das Problem ist nur: Die Gamer sind sich dessen noch nicht bewusst.“