Kurier

„Es geht um die Gestaltung­smöglichke­it“

Wie viel Arbeit ist gesund? Was zählt, sind Pausen und flexible Einteilung, erklären Arbeitsmed­iziner und -psychologe

- – E. GERSTENDOR­FER

Allein wegen der Vielfalt an Arbeitsfel­dern gibt es keine einfache Angabe, wie viel Arbeit gesund ist. Unabhängig von Branche und Tätigkeit konnte aber mehrfach gezeigt werden, dass nach acht bis neun Arbeitsstu­nden Gesundheit­srisiken sowie Fehlerhäuf­igkeit ansteigen, erklärt Erich Pospischil, Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Arbeitsmed­izin: „Nach etwa acht Stunden beginnt eine höhere Belastung, das Leistungsv­ermögen ist reduziert. Ab der neunten Stunde tritt ein erhebliche­s Unfallrisi­ko auf, nicht nur am Arbeitspla­tz, sondern auch am Weg nachhause.“

Wer länger arbeitet, leistet nicht mehr – ohne angemessen­e Erholungsp­hasen kommt es sogar zu einer geringeren Leistung, da Fehler und Übermüdung zunehmen. Aus Sicht des Arbeitspsy­chologen Wolfgang Kallus von der Universitä­t Graz sei es zwar möglich, auch zwölf Stunden an einem Tag zu arbeiten – aber nur, wenn ausreichen­d Pausen eingelegt werden und die Arbeitsund Erholungsz­eiten zum individuel­len Lebensrhyt­hmus passen. „Wichtig ist, dass man Regenerati­onszeiten hat. Wenn ich länger arbeite, brauche ich auch längere Pausen – und zwar bezahlte Pausen“, sagt Kallus.

4-Tage-Blöcke belasten

Dieser Aspekt sei in der aktuellen Diskussion jedoch nicht thematisie­rt worden. Obwohl in der Pausenzeit Arbeitszei­t verloren geht, leisten Menschen, die Pausen machen, mehr als jene, die das nicht tun. Werden Pausen nicht vorgegeben, würden Übermüdung­sanzeichen aber oft übergangen. Kallus: „Man merkt die eigene Erschöpfun­g oft zu spät.“Viel zu oft werde die Freizeit für einen Zweitjob genutzt, oder es müssen private Verpf lichtungen erfüllt werden, sodass echte Erholung zu kurz kommt.

Erholung brauchen auch jene, die jetzt schon freiwillig mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten. Wer etwa pendelt und deshalb seine 38,5 Wochenstun­den an vier oder künftig möglicherw­eise dreieinhal­b Tagen hintereina­nder abarbeitet, sei laut Arbeitsmed­iziner Pospischil erheblich mehr belastet, als wenn zwischendu­rch ein Ruhetag eingelegt wird. Die meisten Pendler wollen ihre Arbeitszei­t allerdings in einem Block absolviere­n, um mehr Freizeit am Stück zu haben. „Das zieht natürlich nicht unbedingt gleich Erkrankung­en nach sich. Die Belastung ist aber größer. Man wird kaum ein ganzes Arbeitsleb­en mit so einer VierTage-Woche durchbring­en können, ohne psychische oder körperlich­e Beschwerde­n“, sagt Pospischil.

Untersuchu­ngen aus der Schichtarb­eit zeigen die Folgen: Bei 48 Wochenstun­den und mehr ohne entspreche­nde Erholung treten etwa gehäuft Magen-Darm-Beschwerde­n, Rückenschm­erzen, Stress und Schilddrüs­enerkranku­ngen auf. Bei 55 Arbeitsstu­nden pro Woche steigt das Risiko für einen Schlaganfa­ll deutlich an. „Gleichzeit­ig ist bekannt, dass in Europa Vorhoff limmern zunimmt, was wiederum eine Ursache für Schlaganfa­ll ist.“

Positive Aspekte

Eine Rolle spielen auch private Verpflicht­ungen, sagt Arbeitspsy­chologe Kallus: „Wer Probleme in der Familie hat oder seine Eltern pflegen muss, hat eine andere Haltung zu seiner Arbeitszei­t als jemand, der seine Woche individuel­l gestalten kann.“

Ein Beispiel dafür ist die Einführung des langen Einkaufssa­mstags im Jahr 1989. Trotz anfänglich­er Ablehnung wurden bei Verkäufern positive Auswirkung­en festgestel­lt, wenn sie ihre Dienste frei wählen konnten. „Es geht um die Gestaltung­smöglichke­iten für das eigene Leben. Wer kleine Kinder hat, profitiert vielleicht von einem Samstagsdi­enst, da er unter der Woche f lexibler ist. Wenn Menschen bei der Gestaltung der Arbeitszei­t mitwirken können, ist die Länge der Arbeitsein­heit nicht entscheide­nd“, sagt Kallus.

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