Vor EU-Gipfel: Merkel kämpfte, Seehofer fehlte
Bundestag. Die Kanzlerin erhob Migration zur „Schicksalsfrage“für die EU, lobte den CSU-Chef, der ihre Rede schwänzte
„Mein Gott, echt jetzt!“Wenn Angela Merkel solche Sätze entfahren, will das was heißen, ist sie ja sonst kein Garant für emotionale Feuerwerke. Aber die Zwischenrufe und das Gegröle aus den Bänken rechtsaußen gingen ihr dann doch auf die Nerven.
Gut, die AfD hat auch lange auf ihren Auftritt warten müssen, denn ehe sich Merkel in ihrer Regierungserklärung der Flüchtlingspolitik zuwandte, hatte sie über die transatlantischen Beziehungen referiert. Erst nach 15 Minuten kam sie auf die Asylpolitik, da war AfD-Chef Gauland vor lauter Herumrutschen schon fast vom Sessel gefallen. Merkel erklärte die Migrationsfrage zur „Schicksalsfra- ge“der EU und fand deutliche Worte. Sie warnte, dass ein nationaler Alleingang viel größere Folgen haben könnte als das Ende der Koalition. Gleichzeitig dämpfte sie die Erwartungen an den EU-Gipfel und ein einheitliches Asylsystem. Sie strebe bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern an, auch in Afrika.
Ankerzentren
Und weil es in der Causa längst um mehr geht als um eine Forderung der CSU, verteidigte sie einmal mehr ihr Handeln im September 2015. Dass Deutschland Flüchtlinge ins Land ließ, war „mitnichten eine unilaterale Aktion“. Nachdem Ungarn um Hilfe gebeten hatte, einig- te man sich telefonisch mit Kanzler Faymann, in der Ausnahmesituation zu helfen.
Lob verteilte sie dann gar an den Mann, der ihr derzeit alles so schwer macht: Horst Seehofer. Merkel strich seine geplanten Ankerzentren hervor. Seehofer selbst suchte man aber vergeblich, er fehlte, saß angeblich in seinem Büro. Nicht nur das warf Fragen auf: Im ARD-Interview gab er sich zuletzt dünnhäutig. Er, der wochenlang polterte und der Kanzlerin drohte, von 1. Juli an Asylsuchende, die in anderen Ländern registriert sind, an der Grenze abzuweisen. Dass sie es als Verstoß gegen ihre Richtlinienkompetenz bezeichnete, wenn er ihr nicht folge, war ein „emotional schwieriger Moment“. Noch am Sonntag wolle man entscheiden, ob Merkels Lösung „wirkungsgleich“zu seiner Forderung sei. Fakt ist, die CSU hat sich in etwas hinein manövriert, wo sie ohne Gesichtsverlust schwer raus kann. Da hilft es wenig, wenn Alexander Dobrindt (CSU) schaumgebremst der Regierung „viel Erfolg“in Brüssel wünschte.
Am Unionsstreit arbeitete sich auch die Opposition im Bundestag ab – zuerst die AfD, dann die FDP, die die Kanzlerin als Schuldige auserkor. Merkel verfolgte die Kritik stoisch. Erst als Grünen-Fraktionsführerin Katrin GöringEckardt an sie gewandt ein abgewandeltes Sprichwort zitierte („Wenn die Klügeren nachgeben, bleiben am Ende nur die Dummen“), huschte ihr ein Lächeln übers Gesicht. Es ist kein Geheimnis, dass sie miteinander können, die Grünen gerne mitregiert hätten.
Bevor Merkel gen Flughafen entschwand, trabte sie noch schnell durchs Plenum, verabschiedete sich von allen Fraktionschefs, bei Volker Kauder, Chef der UnionsFraktion blieb sie länger. Alexander Dobrindt gesellte sich dazu – gut sichtbar für die Presse saßen sie in den hinteren Bänken zusammen. Ob es mehr als Symbolik war bzw. wie viel die Union wirklich auf ihre „Schicksalsgemeinschaft“hält, wird sich zeigen.