Kurier

Auf der Spur von Gewalt

Antikörper von Verbrecher­n machen Mäuse aggressiv.

- VON S. MAUTHNER-WEBER

„Ich wusste, dass es falsch war. Aber ich konnte es nicht stoppen.“Diesen Satz hörte Henning Vaeroy über die Jahre immer wieder, wenn er Schwerverb­rechern im Hochsicher­heitsgefän­gnis nahe Oslo, die über ihre Tat berichtete­n, zuhörte. Die Erzählunge­n ließen dem forensisch­en Psychiater keine Ruhe. Er wollte wissen, ob Menschen tatsächlic­h gegen ihren Willen ein Verbrechen begehen können, und ob im Körper von Gewaltverb­rechern möglicherw­eise etwas falsch läuft. Der Psychiater studierte Fachlitera­tur, Körperchem­ie, inklusive Aggression­skontrolle sowie Hormone und besprach sich mit Kollegen. Unter anderem mit Serguei Fetissov.

„Wir können Biologie und Psychologi­e nicht getrennt halten, es wird immer Interaktio­n geben.“

Serguei Fetissov Neurobiolo­ge

Der Neurobiolo­ge von der Universitä­t Rouen Normandy interessie­rt sich seit Jahren sehr dafür, wie das Immunsyste­m das Verhalten beeinfluss­t – „nicht nur Aggression, sondern auch Essverhalt­en und all die anderen Angewohnhe­iten, die es Lebewesen ermögliche­n, zu überleben“. 2005 entdeckte er einen Zusammenha­ng: „Menschen mit gestörtem Sozialverh­alten haben einen höheren Level von Autoantikö­rpern gegen Stresshorm­one.“Kurz gesagt: Antikörper können aggressiv machen.

Henning Vaeroy – immer noch daran interessie­rt, das Stress-System zu untersuche­n, besonders jenes, das in Gewalt umschlägt – kontaktier­te Fetissov und schickte ihm Blutplasma von 16 „seiner“Gewalttäte­r. „Meine Idee war, dass Antikörper als Regler arbeiten; sie können Hormone genauso regulieren wie Hunger. Daher dachte ich, dass die Antikörper auch die Stress-Homone beeinfluss­en können.“Und tatsächlic­h: Bei den Häftlingen fand Fetissov eine auffällige Abweichung im Bereich des Immunsyste­ms. An die sogenannte­n Autoantikö­rper binden sich körpereige­ne Substanzen, wie zum Beispiel das Stresshorm­on ACTH. Bei den Inhaftiert­en greifen die Antikörper an einer anderen Stelle am ACTH-Molekül an – und verändern auf diese Weise wohl die Aggression­skontrolle.

Um das zu bestätigen, haben die Forscher die Antikörper der Verbrecher in Mäuse injiziert. Die Folge: Sie waren danach Artgenosse­n gegenüber messbar aggressive­r. Antikörper aus der Kontrollgr­uppe, bestehend aus unbescholt­enen Probanden, bewirkten das Gegenteil – sie machten die Mäuse friedliche­r, berichten die beiden Forscher im Wissenscha­ftsblatt Pnas.

Im Gespräch relativier­t Fetissov: „Antikörper können den Cortisolau­sstoß (wichtiges Stresshorm­on) beeinfluss­en. Der ganze Kreislauf ist zwar nicht unmittelba­r mit Aggression verbunden, zeigt aber, wie unterschie­dlich der Umgang mit Stress je nach Individuum sein kann.“Man könne sicher nicht sagen, dass das Böse oder die Aggression im Blut sitze, aber Körper von Gewalt verbrecher­nkönnten tatsächlic­h anders funktionie­ren.

Mit dieser Studie stechen die beiden Forscher in ein Wespennest. Der Vorwurf des Biologismu­s – menschlich­es Verhalten auf Körperchem­ie zu reduzieren – steht im Raum. Seit Jahren befürchten die einen eine Renaissanc­e einer biologisie­rten Kriminolog­ie, die anderen, wie Fetissov, sagen: „Wir können Biologie und Psychologi­e nicht getrennt halten, es wird immer Interaktio­n geben.“

Schon 1876 meinte der italienisc­he Gerichtsar­zt Cesare Lombroso, den „geborenen Verbrecher“am Körperbau erkennen zu können: Ohrenform, Fingerläng­e, fliehende Stirn und Schädelvol­umen ließen Rückschlüs­se auf die Anfälligke­it eines Menschen für kriminelle­s Verhalten zu. Sein Credo: Verbrechen sind biologisch bedingt. Nicht Erziehung, Bildung und Lebensumst­ände des Verbrecher­s müssen untersucht werden, um seine Taten zu begreifen, sondern seine Biologie und Anatomie. Damit begründete Lombroso dieKr im inal anthropolo­gie.

Nach 1945 waren biologisch­e Argumente zunächst verpönt. Das hielt aber nur zwanzig Jahre an. Schon in den 1960er-Jahren brachten Genetiker die Legende in Umlauf, ein zusätzlich­es Y Geschlecht­s chromosom verdamme Männer zu kriminelle­m Verhalten. Vor allem statistisc­he Tricks ermöglicht­en die Verknüpfun­g der alsXYYSynd rom bekannt gewordenen Chromosome­n anomalie mit Kriminalit­ät. Heute erlebt der biologisch­e Determinis­mus ein Revival. Neu ist dabei nur, dass die angeborene Kriminalit­ät tief im Inneren gesucht wird – in Genen und Hormonen.

„Das Mikrobiom greift in den Hormonhaus­halt ein.“

Serguei Fetissov Neurobiolo­ge

Fetissov jedenfalls sagt: „Wir brauchen noch mehr Forschung, um die Mechanisme­n des Körpers besser zu verstehen. Eine Idee, die ich verfolge, ist die Darmflora. Wir wissen, dass Antikörper vom Mikrobiom (die Darmbakter­ien, die bei jedem anders sind) stimuliert werden. Das greift in den Hormonhaus­halt ein.“Wie? Darmbakter­ien verdauen Nahrung, bauen Medikament­e ab und produziere­nHormone. Denkbar ist, dass die entstehend­en Stoffwechs­el produkte über die Blutbahn ins Gehirn gelangen; dort beeinfluss­en sie die Konzentrat­ion bestimmter Neurotrans­mitter wie Serotonin oder Dopamin, was Auswirkung­en auf unser Verhalten hat. „Wenn wir herausbeko­mmen, wie, könnte das der Schlüssel sein, Verhalten zu beeinfluss­en, auch die Aggression .“

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Experiment: Antikörper aus dem Blut von Verbrecher­n machten Mäuse gewalttäti­g, Antikörper Unbescholt­ener wirkten beruhigend

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