Das Vorfinale der Ochsentour
Affentheater und Mut zum Altern: So war das Stones-Konzert in Prag
Um 22.54 Uhr, exakt zwei Stunden nach Beginn, lagen sich die alten Haudegen, erlöst lachend, zur Verbeugung in den Armen. Sie hatten es wieder – und wieder einmal – bewiesen: dass sie liefern, was von ihnen erwartet wird. Nun, am Mittwoch in Prag, als vorletzter Station ihrer zweijährigen „No Filter“Tournee, die am 8. Juli in Warschau enden wird.
Die Setlist hatte sich gegenüber der Show in Spielberg am 16. September 2017 nur geringfügig geändert: Die Rolling Stones begannen, wie kürzlich in Berlin, mit „Street Fighting Man“(statt mit „Sympathy for the Devil“), dann ging es im Best-ofProgramm weiter mit „It's Only Rock'n'Roll (But I Like It)“und „Tumbling Dice“. Bereits in Minute vier stürmte Mick Jagger den Catwalk entlang, der jubelnden Menge zu. Nach den exakt zwei Stunden wird seine FitnessApp an die elf Kilometer im raschen Schritt, gegen Ende sogar im Dauerlauf, registriert haben. Er wird wiederholt seine bekannten Posen eingenommen, seine flatternden Armbewegungen vollführt haben.
Und hinten, neben Schlagzeuger Charlie Watts, werden die beiden Gitarristen Keith Richards und Ron Wood sich über das Affentheater von Mick Jagger amüsiert haben. Sie sind nun wieder ein Jahr älter geworden. Natürlich macht die Sache irgendwie Spaß, aber sie ist auch Arbeit, definitiv Knochenarbeit. Keith Richards hechelt mit halb offenem Mund hinterdrein; das eine oder andere Mal ist er ganz verdutzt, dass die Band schon einen Takt weiter ist als er. Und der Beginn von „Before They Make Me Run“gerät dann auch ziemlich daneben.
Egal, denn Keith Richards ist der Liebling, keiner bekommt bei der Vorstellung mehr Applaus. Auch Ron Wood nicht, der wie bei der letzten Etappe des Radrennens quer durch Amerika schuftet. Mit 71 ist er der Jüngste. Und so hat er lässig seine Soli zu servieren. Aber die extreme Anspannung in seinem hageren Gesicht verrät: Er hat – neben Jagger – die Last zu schultern.
Die vier machen weiter Mut zum Altern. Und sie zeigen dies auch in monströsen Close-ups auf den VideowallTürmen. Das Nachlassen der Kräfte lässt sich nicht mehr leugnen. Charlie Watts, 77 geworden, wirkt mit eingezogener Unterlippe manchmal, als sei er zum Bingo-Spiel in den Tagesraum geschoben worden. Er klopft stoisch die Nummern runter. Die alten Nummern, wohlgemerkt.
Kraftakt
Bei „Gimme Shelter“als erster Zugabe hat Mick Jagger im Duett mit Backgroundsängerin Sasha Allen an der Rampe so etwas wie Sex. Aber die mäandernden Adern seitlich der Stirn zeugen vom übermenschlichen Kraftakt. Zuvor hatte sich Jagger einen Fauxpas geleistet. Denn er attestierte den Fans in Prag, ein „Super-Publikum“zu sein – auf Deutsch. Das machte alle seine Frohbotschaften in holprigem Tschechisch zunichte. Aber man verzieh ihm – und sang nicht nur bei „(I Can't Get No) Satisfaction“inbrünstig mit. Draußen, vor dem Areal, war ein Prediger gestanden. Seine These lautete, wenn man keine Befriedigung kriegen könne: „You need Jesus.“Den Stones gelang es, ihre Zuhörer zumindest zu befrieden. Artig wanderten sie nach dem „Feuerwerk“, das nicht mehr war als Funkensprühen, zur U-Bahn-Station.
KURIER-Wertung: ★★★★★