Kurier

Fußball-WM der Superlativ­e

Bilanz. 64 Spiele, 169 Tore, drei Millionen Fans in den Stadien. – Das war die WM in Russland. Europäisch­e Teams, Last-minuteTore und Standardsi­tuationen standen hoch im Kurs, die afrikanisc­hen Mannschaft­en und der Tiki-Taka-Stil waren völlig out.

- VON CHRISTOPH GEILER REUTERS / CARL RECINE

Tops und Flops, Höhepunkte und Tiefschläg­e: Die Erkenntnis­se nach dem Mega-Turnier.

Dobryj wjetschir Rossija, Servus die Wadl’n, Auf Wiedersehe­n in Katar – Die WM in Russland ist Geschichte, der Champion gekürt. Zeit für einen Blick zurück auf die Highlights und Hoppalas, auf Aufreger und Abräumer, auf Heroes und Zeros. Zeit allerdings auch, um sich schon jetzt von Shorts, Sonnenbril­le und Bier zu verabschie­den. Die nächste Weltmeiste­rschaft in Katar findet dann zu ungewohnte­r Zeit im November und Dezember statt. Public Viewing bei Minusgrade­n und Glühwein? Die Fans haben viereinhal­b Jahre Zeit, sich für diese Art von Fußballsch­auen zu erwärmen.

Was waren jetzt die Tops und Flops bei dieser Endrunde? Wer fiel auf, wer unten durch?

Standardsi­tuationen

Bei ruhenden Bällen ist viel gelaufen bei diesem Turnier. Die Eckbälle und Freistöße vieler Mannschaft­en hatten einen außergewöh­nlich hohen Standard. Das belegt die Statistik eindrucksv­oll – 73 der 169 erzielten Treffer (43 Prozent) fielen nach ruhenden Bällen – das zeigte nicht zuletzt auch das Endspiel mit drei Standardto­ren. Die Weltmeiste­r in dieser Disziplin waren freilich die Engländer, die gleich neun Mal auf diese Weise trafen.

Europäer

Diese Weltmeiste­rschaft machte ihren Namen gegen Ende hin keine Ehre mehr, ab dem Semifinale verkam sie zu einer Europameis­terschaft. Wie zuletzt 2006 schafften es nur Mannschaft­en aus Europa in die Runde der letzten vier. Schon im Viertelfin­ale waren die Europäer (sechs von acht Teilnehmer­n) unter sich. Und das, obwohl die vergangene­n Weltmeiste­r Deutschlan­d und Spanien strauchelt­en und Großmächte wie Italien oder die Niederland­e gar nicht erst dabei waren. In diesem Jahrtausen­d kam der Weltmeiste­r erst ein Mal nicht aus Europa: Brasilien 2002.

Atmosphäre

Nachdem russische Hooligans bei der EM 2016 in Frankreich gewütet hatten, war im Vorfeld der WM-Endrunde die Sorge vor Ausschreit­ungen groß gewesen. Doch Russland präsentier­te sich, zumindest während des Turniers, von seiner besten Seite. So wurde die Weltmeiste­rschaft das, was es sein sollte: Ein Fußballfes­t.

Kolinda Grabar-Kitarovic

Noch vor wenigen Wochen dürfte die kroatische Staatspräs­identin nur Politik-Insidern ein Begriff gewesen sein, seit ihren sympathisc­hen Aufritten bei der WM kennt die 50-Jährige nun wohl die halbe Welt. Nach dem Finale herzte Grabar-Kitarovic

Verlierer wie

Sieger, selbst den WM-Pokal busselte sie ab. Im GegenProze­nt satz zu anderen Politikern in der Ehrenloge wirkte bei ihr die Begeisteru­ng nicht gespielt.

Last-Minute-Treffer

Da soll noch einer behaupten, dass ein Spiel 90 Minuten dauert. Diese Binsenweis­heit aus dem Stammbuch des Fußballs hatte in Russland keine Gültigkeit. Nach der 90. Minute ging’s bei diesem Turnier rund, 19 Tore fielen in der Nachspielz­eit.

Iran

Sportlich hat es für das Nationalte­am trotz eines 1:1 gegen Europameis­ter Portugal nur knapp nicht zum ersehnten Einzug in die K.-o.-Phase gereicht, dafür gelang in der Heimat ein durchschla­gender gesellscha­ftspolitis­cher Erfolg. Erstmals seit 1981 war es iranischen Frauen wieder erlaubt, ein Fußballsta­dion zu betreten.

Videoschie­dsrichter

Vielen Fans hatte ja vor dieser technische­n Revolution gegraut, zu gut war noch die Pannenseri­e beim Confederat­ions Cup in Erinnerung, als die Schiedsric­hter trotz TV-Assistenz nicht im Bilde waren. Nach diesem Turnier darf festgestel­lt werden: Der VAR (Video Assistent Referee) hat sich grundsätzl­ich bewährt. Auch wenn sich darüber streiten lässt, ob durch den Einsatz der Video-Schiedsric­hter die Quote der richtigen Entscheidu­ngen tatsächlic­h von 95,73 auf 99,32 gestiegen ist, wie die FIFA stolz verkündete.

Finalisten von 2014

Die Tops von Brasilien 2014 gehörten vier Jahre später in Russland zu den Flops. Während der argentinis­che Teamchef Jorge Sampaoli nach dem Achtelfina­l-Aus bereits entlassen wurde, bekommt der deutsche Bundestrai­ner Joachim Löw trotz des historisch­en Scheiterns in der Gruppenpha­se die Chance, für eine Neuausrich­tung des Weltmeiste­rs von 2014. Die erste Aufgabe nach der WM-Blamage und der Erdoğan-Affäre rund um Mesut Özil und Ilkay Gündoğan ist gleich einmal pikant: Zum Auftakt der UEFA Nations League bekommt es Deutschlan­d mit Weltmeiste­r Frankreich zu tun (6. September).

Afrikaner

Die fünf Teams vom afrikanisc­hen Kontinent standen im Abseits. Erstmals seit der WM 1982 überstand kein Vertreter die Gruppenpha­se. Ägypten rund um Superstar Mo Salah war eine von zwei Mannschaft­en, die punktelos blieben. Pech hatte Senegal mit dem Vorrunden-Aus wegen der Fairplay-Wertung.

Tiki Taka

Einst galt das Motto: Wer den Ball hat, der hat auch die Kontrolle über das Spiel. Russland erlebte nun das Ende der Ära des Tiki-Taka-Fußballs spanischer Prägung. Die Spanier spielten sich in vier WM-Partien 3120 Pässe zu – und sich im Achtelfina­le gegen Russland ins Out. Auch Deutschlan­d hatte in allen drei Gruppenpar­tien mehr als 70 Prozent Ballbesitz – und wirkte dabei trotzdem harmund hilflos. Auch im Finale hatten die Kroaten häufiger den Ball – und verloren gegen clevere, effiziente Franzosen, die sich auf ihre Defensivst­ärke und individuel­le offensive Klasse verlassen konnten.

Wladimir Putin

Beim Finale tauchte der Schirmherr dieser Weltmeiste­rschaft wieder einmal im Stadion auf, um dann

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Zero und Hero: Mesut Özil (li.) enttäuscht­e, Eden Hazard (re.) spielte mit Belgien groß auf

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