Die Künstler und ihre Kaffeehäuser
Tradition. Fotograf Sepp Dreissinger ist täglich mehrmals im Café. Nun hat er der Institution ein Denkmal gesetzt
„Alleine zu Hause Kaffee trinken, heißt irgendwie nichts.“Meinte die Schriftstellerin Frederike Mayröcker einmal zu Sepp Dreissinger und sprach dem Autor und Fotograf damit aus der Seele.
Dreissinger geht nämlich selbst jeden Tag ins Kaffeehaus. Meistens sogar zwei Mal. Er hat Zuhause keine Kaffeemaschine, ist aber leidenschaftlicher Kaffeetrinker. „Somit bin ich zum Besuch quasi gezwungen“, sagt er und lacht. Obwohl von Zwang natürlich keine Rede ist. Er genießt „das gemütliche Rauchen, das Zeitunglesen, das Nichtwissen, wie spät es ist.“
Außerdem ist das Kaffeehaus der ideale Ort, um Künstler kennenzulernen. Das erkannte er schon während seiner Jugendzeit in Salzburg, als er noch Musik studierte. Denn das Fotografieren hat sich quasi nebenbei ergeben. In einer Zeitung ist er vor vielen Jahren über ein Foto gestolpert, dessen Schwarz-Weiß-Aufteilung ihn so faszinierte, dass er beschloss, sich dem Thema Fotografie zu widmen. In den vergangenen Jahrzehntenhatersichdannmitseinen Fotoporträts – allen voran von Thomas Bernhard – im Land einen Namen gemacht.
Nun hat er seine zwei großen Lebensthemen – Künstler und Kaffeehaus – vereint. „Im Kaffeehaus“heißt das Buch (mit Fotos und Gesprächen von Sepp Dreissinger), das Künstlerpersönlichkeiten in ihrem Stamm-Café zeigt und ihre Ansichten über das Kaffeehaus verrät.
Zeit-Raum-Gefüge
Darin erzählt die Schriftstellerin Christine Nöstlinger – sie starb Ende Juni – dem Autor, dass Mädchen früher im Kaffeehaus nichts zu suchen hatten, dass sie sich deshalb unglaublich stolz und erwachsen fühlte, als sie das erste Mal ein Café besuchte. 1954, nach ihrer mündlichen Matura. Der Kabarettist Thomas Maurer bemerkt,dassimKaffeehausein eigenes Raum-Zeit-Gefüge herrscht. Und Josef Hader verrät, dass er vor allem während der ersten Schreibphase, in der ihm viel einfallen muss, im Kaffeehaus sitzt. Musik im Kaffeehaus findet er übrigens entsetzlich, „dagegen müsste es ein Gesetz geben“, sagt er. Das sieht Schriftsteller Robert Menasse genauso. Und auch, meint Menasse, sollte es keine Debatte darüber geben, ob geraucht werden darf oder nicht.
Das Rauchen war für Dreissinger ebenfalls stets Teil der Kaffeehauserfahrung.
Auch nun, während des Gesprächs im Schanigarten des Café Weimar, nimmt er einen Zug von seiner Zigarre. Das Weimar ist wegen der Nähe zu seinem Zuhause sein aktuelles Stammlokal. Denn er teilt eine weitere Ansicht mit Menasse: Dass sich das Kaffeehaus um die Ecke befinden muss, weil kein echter Kaffeehausgänger zu einem Kaffeehaus anreist.
Für manche nimmt Sepp Dreissinger aber doch etwas Weg auf sich – sonntags ist er meist im Café Weidinger am Lerchenfelder Gürtel anzutreffen und für besondere Anlässe geht er ins Café Heumarkt, weil es noch im Urzustand befindet, wie das Hawelka, bevor es zum Touristentreffpunkt wurde.
Derzeit arbeitet er an einem neuen Projekt. Eine fast geplatzte Gallenblase vergangenesJahrwarihmein Warnruf. „Ich habe jetzt ein geschenktes Leben, das will ich nutzen“, sagt er. Er möchte eine Lebensausstellung auf die Beine stellen. Seine 100 besten Porträts soll es dort zu sehen geben. Einen Ort dafür habe er noch nicht, aber vielleicht würde sich ja noch jemand melden.
Gibt es nach all den Jahren noch Persönlichkeiten, die er gerne fotografieren würden? „Keine, bei denen das heute noch möglich ist“, sagt erundseufzt.JamesDean,den hätte er schon gern kennengelernt – und auch porträtiert.